Vor 100 Jahren: Die Novemberrevolution und die Gründung der KPD

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Kategorie: Vorträge
Veröffentlicht am Samstag, 22. Dezember 2018 09:44
Geschrieben von estro
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Festrede von Genosse Götz Dieckmann auf der Festveranstaltung zum 100. Jahrestag der Novemverrevolution und der Gründung der KPD, in Berlin am 24. November 2018

festrede g dieckmann 20181124Ich will die Novemberrevolution und die Gründung der KPD vor allem in ihrer Verknüpfung mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution betrachten. Es ist unumstritten: Der Ausbruch beider Revolutionen war die Folge des Ersten Weltkriegs. Sowohl in Deutschland, wie im Zarenreich ebbte spätestens ab 1916 die Woge nationalistischer Begeisterung ab. Angesichts unzähliger Toter, des Hungers und der Erschöpfung griff allgemeine Kriegsmüdigkeit um sich. Spontane Proteste und Streiks – auch in Rüstungsbetrieben – flammten auf.

Doch die letztlich entscheidenden Ursachen für beide Weltkriege des Zwanzigsten Jahrhunderts, die Wurzeln schrittweiser Revolutionierung, lagen noch viel tiefer. Sie waren Folgen der sprunghaft-ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium. Diese Wahrheit war schon immer für die Ideologen des Monopolkapitals unerträglich. Da sie die Schuld am Ersten Weltkrieg zu ihrem Bedauern nicht den Kommunisten in die Schuhe schieben können, verkünden sie unermüdlich, dieser Krieg sei allein „bedauerlichen Mißverständnissen“ der damals Herrschenden entsprungen. Allesamt seien sie schier „schlafwandlerisch“ in die Katastrophe „hineingetaumelt“. Mit Monopolkapitalismus habe das nichts zu tun.

Der Zweite Weltkrieg dagegen sei in erster Linie auf den Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und Hitlerdeutschland zurückzuführen. Die Faschismus-Definition Dimitroffs auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale sei eine heimtückische Propagandathese.

Die Zielsetzung dieser Geschichtsfälschungen liegt auf der Hand. Ich glaube nicht, daß ich mich damit ausführlicher auseinandersetzen muß.

Erinnert sei aber daran, daß Lenin bereits Mitte 1915 in seiner Schrift „Der Zusammenbruch der II. Internationale“, bezüglich des I. Weltkrieges voll Verachtung schrieb: „In der edlen Kunst, die Dialektik in Sophistik umzufälschen hat Plechanow den Rekord geschlagen. Der Sophist greift einen der 'Gründe' heraus, und schon Hegel hat mit Recht gesagt, daß man 'Gründe' absolut für alles in der Welt finden könne. Die Dialektik verlangt die allseitige Erforschung einer gegebenen gesellschaftlichen Erscheinung in ihrer Entwicklung sowie die Zurückführung des Äußerlichen und Scheinbaren auf die grundlegenden Triebkräfte, auf die Entwicklung der Produktivkräfte und den Klassenkampf. … (Die) Geschichte beweist aber unwiderleglich, daß gerade die Eroberung von Kolonien, die Ausplünderung fremder Länder, die Verdrängung und Ruinierung des erfolgreicheren Konkurrenten die Hauptachse der Politik beider kriegführender Kräftegruppen bildeten.“ (LW: 21/211)

In derselben Schrift finden wir auch seine dialektisch-materialistische Definition der revolutionären Situation:„Für den Marxisten unterliegt es keinem Zweifel, daß eine Revolution ohne revolutionäre Situation unmöglich ist, wobei nicht jede revolutionäre Situation zur Revolution führt. Welches sind, allgemein gesprochen, die Merkmale einer revolutionären Situation? Wir gehen sicherlich nicht fehl, wenn wir folgende drei Hauptmerkmale anführen: 1. Für die herrschenden Klassen ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten; die eine oder andere Krise der 'oberen Schichten', eine Krise der Politik der herrschenden Klasse, die einen Riß entstehen läßt, durch den sich die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen Bahn bricht. Damit es zur Revolution kommt, genügt es in der Regel nicht, daß die 'unteren Schichten' in der alten Weise 'nicht leben wollen', es ist noch erforderlich, daß die 'oberen Schichten' in der alten Weise 'nicht leben können'. 2. Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus. 3. Infolge der erwähnten Ursachen steigert sich erheblich die Aktivität der Massen, die sich in der 'friedlichen' Epoche ruhig ausplündern lassen, in stürmischen Zeiten dagegen sowohl durch die ganze Krisensituation als auch durch die 'oberen Schichten' selbst zu selbständigem historischen Handeln gedrängt werden.

Ohne diese objektiven Veränderungen, die unabhängig sind nicht nur vom Willen einzelner Gruppen und Parteien, sondern auch einzelner Klassen, ist eine Revolution – in der Regel – unmöglich. Die Gesamtheit dieser objektiven Veränderungen wird denn auch revolutionäre Situation genannt. Eine solche Situation gab es 1905 in Rußland und in allen Revolutionsepochen im Westen; sie lag aber auch in den sechziger Jahren in Deutschland und in den Jahren 1859-1861 in Rußland vor, obgleich es in diesen Fällen zu keiner Revolution kam. Warum? Weil nicht aus jeder revolutionären Situation eine Revolution hervorgeht, sondern nur aus einer solchen Situation, in der zu den oben aufgezählten objektiven Faktoren noch eine subjektive hinzukommt, nämlich die Fähigkeit der revolutionären Klasse zu revolutionären Massenaktionen, genügend stark, um die alte Regierung zu stürzen, (oder zu erschüttern), die niemals, nicht einmal in einer Krisenepoche 'zu Fall kommt', wenn man sie nicht 'zu Fall bringt'. (Ebenda, S. 207)

Er führte seine Analyse kurz darauf zu dem Schluß: „Das Leben lehrt. Das Leben geht den Weg über die Niederlage Rußlands zur Revolution in Rußland und über diese Revolution, in Verbindung mit ihr, zum Bürgerkrieg in Europa. Das Leben hat diesen Weg eingeschlagen.“ (LW: 21/388)

Wer Lenins Sichtweise nicht verinnerlicht, wird weder die historischen und ebenso wenig die brennenden Fragen der Gegenwart schlüssig beantworten können. Ich werde deshalb darauf zurückkommen.

Die Eckdaten der Vorgeschichte der Novemberrevolution sind ebenso bekannt wie jene des Roten Oktobers. Dennoch will ich einige anführen, die den wechselseitigen Zusammenhang von russischer und deutscher Revolution verdeutlichen.

Bei der Analyse konkreter Ereignisse der unmittelbaren Vorgeschichte beider Revolutionen ist es geboten, Mitte 1917 anzusetzen:

Im Juni dieses Jahres demonstrierten in Petrograd über 500 000 Menschen unter der Losung „Alle Macht den Sowjets!“. Die Regierung richtete ein Blutbad an und im ganzen Land gewann vorübergehend die Konterrevolution das Übergewicht.

Lenin schrieb, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt mit seiner radikalen Abgrenzung gegen alle Spielarten desOpportunis mus selbst innerhalb der Führung der Bolschewiki noch keineswegs durchgesetzt hatte, an Karl Radek: „So oder so muß man um jeden Preis … eine w i r k l i c h e III. Internationale n u r der Linken, n u r g e g e n d i e K a u t s k y a n e r gründen. Besser ein kleiner Fisch als eine große Schabe. …

Die Lage hier kann man am besten mit dem Vorabend der Junitage von 1848 vergleichen. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre lieferten und liefern alles den Kadetten (= den Cavaignac) aus. Qui vivra verra.“ (Lenin, Briefe: IV/441)

Zur Erläuterung: Cavaignac hieß der General, der 1848 die Revolutionäre in Paris massenhaft abschlachten ließ und das Zitat bedeutet: „Wer leben wird, wird sehen!“

Ende August lesen wir in einem Brief „An das Auslandskomitee des Zentralkomitees“: „Wir begehen einen gewaltigen, unverzeihlichen Fehler, wenn wir die Einberufung einer Konferenz der Linken zur Gründung der III. Internationale aufschieben oder hinauszögern.“ (Ebenda, S.445)

Lenin zählt die möglichen Unterstützer auf. Dabei steht der Spartakusbund in der ersten Reihe. Nun wissen wir natürlich, daß die Kommunistische Internationale erst im März 1919 in Moskau formell gegründet wurde. Sie wird von den Gegnern damals wie heute lediglich als ein außenpolitischesVehikel der Sowjetunion dargestellt. So verhielt es sich jedoch keineswegs, denn als Lenin diese Zeilen schrieb, existierte die Sowjetmacht ja noch garnicht.

Nur wenige Tage zuvor, am 2. August, hatte sich in Deutschland etwas sehr Einschneidendes ereignet. Es versammeln sich 400 protestierende Matrosen und Heizer des Schiffs „Prinzregent Luitpold“ der deutschen Seekriegsflotte, unter der Losung:

„Wir sind die wahren Patrioten. Nieder mit dem Krieg!“

Bereits im Frühjahr hatte sich die deutsche Sozialdemokratie gespalten. Ihr linker Flügel begann sich – allerdings zunächst noch mit recht unklaren programmatischen Maximen – als USPD zusammenzuschließen. Sie unterstützte die Proteste der Matrosen. Der Vorsitzende des opportunistischen rechten Flügels der SPD, der sogenannten „Mehrheitssozialisten“, Friedrich Ebert, verleumdete dagegen diese revolutionäre Matrosenrevolte in einem Gespräch mit dem Staatssekretär im Reichsmarineamt, von Capelle, als „krassen Landesverrat“

Die Bewegung wird niedergeschlagen, ihre Führer verhaftet und Max Reichpietsch sowie Albin Köbis am 5. September erschossen. Zahlreiche Matrosen werden zu lebenslangen oder mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Doch diese Nachrichten gehen wie ein Lauffeuer durch das deutsche Reich und andere Staaten Europas.

Welches dieser Ereignisse hebt Lenin nun besonders hervor? In seinem Versteck am Ufer des finnischen Rasliw-Sees schreibt er unter der Überschrift „Die Krise ist herangereift“: „Zweifellos gab es in Deutschland auch früher schon vereinzelte Fälle von Meutereien in der Armee, aber sie waren unbedeutend, so zersplittert, so schwach, daß man sie vertuschen, verschweigen und so vor allem die Ansteckung der Massen durch sie verhindern konnte. Endlich reifte nun in der Flotte eine Bewegung heran, die sogar bei der Strenge des deutschen militärischen Zuchthausregimes trotz der bis ins einzelne ausgearbeiteten und mit unglaublicher Pedanterie durchgeführten Maßregeln nicht mehr vertuscht, nicht mehr totgeschwiegen werden konnte.

Es kann keinen Zweifel geben. Wir stehen an der Schwelle der proletarischen Weltrevolution. Und da wir russischen Bolschewiki als einzige von allen proletarischen Internationalisten aller Länder uns einer verhältnismäßig sehr großen Freiheit erfreuen, eine legale Partei und gegen zwei Dutzend Zeitungen besitzen, die hauptstädtischen Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten auf unserer Seite haben, in einer revolutionären Zeit die Mehrheit der Volksmassen auf unserer Seite haben, können und müssen auf uns wahrhaftig die Worte Anwendung finden:

Wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern.“ (LW: 26/60)

Auf den Punkt gebrachtbedeutete das: Der Russe wird beginnen – der Deutsche vollenden!

Eben in diesen Wochen erkennen wir bei Lenin zudem eine wichtige Vertiefung seiner Erkenntnisse über die revolutionäre Situation. Er warnt eindringlich vor der Gefahr des „Bonapartismus“ in Rußland. Was bedeutet dieser Begriff, der seinen Ursprung in der französischen Geschichte, in der Herrschaft Napoleons des III. hatte? Lenin schrieb: „Wir haben das grundlegende historische Merkmal des Bonapartismus vor uns; die sich auf den Militärklüngel (auf die übelsten Elemente der Armee) stützende Staatsmacht laviert zwischen den beiden sich feindlich gegenüberstehenden Klassen und Kräften, die sich gegenseitig mehr oder weniger die Waage halten.“ (LW: 25/222)

Hier ist anzumerken, daß 1917 der Begriff „Faschismus“ noch unbekannt war. Denn erst 1921 hat Mussolini in Italien seine „faschistische“ Partei gegründet und ab da verwendete dann auch Lenin diesen Begriff. Bonapartismus und Faschismus sind jedoch im Kern wesensgleich. Lenin hat also 1917 formuliert, daß es nicht nur zwei mögliche Ausgänge einer revolutionären Situation gibt, sondern drei.

Sie kann - erstens - im günstigsten Fall - in eine siegreiche Revolution hinüber geleitet werden. Sie kann – zweitens - relativ folgenlos bleiben, wenn die Kräfte der Revolution sich noch als zu schwach erweisen und anschließend die kapitalistische Wirtschaft ein Zwischenhoch erlebt. Auf Beispiele dieser zweiten Variante hatte Lenin ja bereits 1915 verwiesen. Doch nun kommt - als Drittes - hinzu: Eine revolutionäre Situation kann auch durch eine radikale, also bonapartistische bzw. faschistische Konterrevolution im Interesse extrem reaktionärer Kreise des Monopolkapitals aufgelöst werden.

Der „Kornilow-Putsch“ sollte kurz darauf Lenins Erkenntnis bestätigen. Doch dieser Putsch scheiterte und nunmehr wardie Tür zum Roten Oktoberin der Tatgeöffnet. Auf die Auseinandersetzungen in der Führung der Bolschewiki noch im September 1917 hinsichtlich des Aufstandstermins muß ich nicht eingehen, da auch diese Fakten allgemein bekannt sind.

Nach dem Sturm auf das Winterpalais und der Errichtung der Sowjetmacht gab es alsonun die hoffnungsfrohe Erwartung, die deutsche Arbeiterklasse werde jetzt rasch dem russischen Beispiel folgen und der Sieg der proletarischen Revolution in diesem hochentwickelten kapitalistischen Kernland Mittel- und Westeuropas werde die Sowjetmacht effektiventlasten. Ihr Sieg werde wesentlich dazu beitragen, sozialökonomische Defizite des immer noch in weiten Teilen rückständigen Rußlands zu überwinden.

Diese hoffnungsvolle Erwartung sollte sich zunächst nicht bestätigen. Bürgerkrieg und Interventionen des Auslands stellten die Sowjetmacht vor gewaltige Herausforderungen. Sie war gezwungen, den Vertrag von Brest-Litowsk mit dem kaiserlichen Deutschen Reich abzuschließen, um überhaupt die Chance zu wahren, die sozialistische Revolution zu retten. 1918 warzunächst ein schreckliches und opferreiches Jahr. Doch dann trat endlich ein, was Lenin prognostiziert hatte. Die deutschen und österreichischen Kriegsflotten erhoben sich mächtiger denn je und nun gelang es der Reaktion nicht mehr, die Revolutionenin Deutschland und Österreich-Ungarn in der Startphase abzuwürgen. Lenin, der dabei ist, sein Werk „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ zu vollenden, kann endlich erleichtert aufatmen. Er vermerkt am 10 November 1918: „In der Nacht vom 9. zum 10. trafen aus Deutschland Nachrichten ein über den Beginn der siegreichen Revolution zuerst in Kiel und anderen Städten im Norden und an der Küste, wo die Macht in die Hände der Arbeiter- und Soldatenräte übergegangen ist, dann auch in Berlin, wo der Rat ebenfalls die Macht übernommen hat.

Der Schluß, den ich noch zu der Broschüre über Kautsky und die proletarische Revolution zu schreiben hätte, erübrigt sich dadurch.“ (LW:28/320)

Wir wissen, daß die Novemberrevolution trotz Karl Liebknechts Proklamation einer „freien sozialistischen Republik“, trotz des Heldenmuts der Spartakisten, trotz Volksmarinedivision und Bayrischer Räterepublik, trotz der Abwehr des „Kapp-Putsches“ und der opferreichen Kämpfe in Mitteldeutschland und schließlich1923 in Hamburg, nicht in eine siegreiche sozialistische Revolution hinüberwuchs. Die rechte SPD-Führung agierte opportunistisch von Anfang an. Friedrich Ebert kritisierte gar Scheidemanns Ausrufung einer bürgerlichen Republik, mit dem Argument, es sei ja noch gar nicht gesagt, daß ein künftiges Parlament sich für die Republik und gegen das Kaiserreich aussprechen werde. Ebert und Noske riefen reaktionäre Freikorps herbei, um durch sie die Revolution im Blut zu ersticken, ganz so, wie Lenin 1917 vor dem drohenden „Bonapartismus“ gewarnt hatte.

Nun wollen wir aberfesthalten: Das Kaiserreich wurde tatsächlich abgeschafft. Die Frauen erhielten das Wahlrecht, Jahre bevor das in einem soklassischen Land bürgerlicher Demokratie wie England gewährt wurde. Der Achtstundentag wurde eingeführt. Die deutsche Rätebewegung scheiterte; sie hat uns jedoch als Erbe immerhin dieBetriebsräte hinterlassen.

Das alles wollen wir nicht kleinreden.

Es bleibt aber festzuhalten: Tiefere Eingriffe in sozialökonomische Strukturen, wie sie die klassische französische bürgerliche Revolution vorzeichnete, blieben im dieser nachholenden deutschen bürgerlichen Revolution aus. Die vielgerühmte Weimarer Verfassung enthielt Artikel, die es 1933 Hindenburg ermöglichten, Adolf Hitler legal zum Reichskanzler zu ernennen. Dieser wiederum hielt es bis zum Untergang des III. Reiches nicht einmal für nötig, jene Charta von Weimar durch eine andere zu ersetzen.

Die geschichtliche Hauptleistung der Novemberrevolution war eine andere: Sie bestand in der Entlastung SowjetrußlandsEnde1918 und während der langen existenzgefährdenden Zeit des Bürgerkriegs und der imperialistischen Interventionen.

Nicht nur wegen ihrer ausschlaggebenden Rolle bei der Gründung der KPD, sondern ebenso wegen dieser direkten und indirekten Unterstützung der Sowjetmacht gilt Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und allen anderen gefallenen Kämpfern unsere dankbare Verehrung. Auch wenn wir bei nüchterner Betrachtung der Dinge erkennen, ihre Möglichkeiten, siegreich zu sein, seien meist bedauerlicherweisenicht großgewesen, verehren wir sie zu Recht und versammeln uns regelmäßig an ihren Gräbern. Sie haben ihr Leben eingesetzt, um die Ehre der deutschen Arbeiterklasse zu wahren. Und ich denke, wir haben beschämteinzuräumen: Wir - ihre Nachfolger - sind Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht ihrem Beispiel gefolgt, sondern haben kapituliert wie Gelähmte. Das muß uns bedrücken. An unseren Gräbern wird außer Verwandten und persönlichen Freunden niemand verharren.

Doch ein Ergebnis der Novemberrevolution wird auf Dauer Langzeitwirkung haben: Das ist die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands. Diese Partei entwickelte sich in der Nachkriegskrise dank ihrer marxistischen Position zum Dreh- und Angelpunkt der revolutionären Kräfte Deutschlands. Zwar war sie zunächst noch keine wirkliche Massenpartei – das wurde sie erst in den Folgejahren und endgültig ab 1925 unter der Führung Ernst Thälmanns. Wir sind stolz darauf, daß unsere Partei zur zweitstärksten der Komintern, - nach der KPdSU - wurde. Wir wissen: Ohne diese Partei und ohne den Sieg der Sowjetarmee über den deutschen Faschismus hätte es keine antifaschistisch-demokratische Ordnung im Osten, keine Sozialistische Einheitspartei Deutschlands und nicht vierzig Jahre DDR, den sozialistischen Staat auf deutschem Boden, gegeben.

Natürlich kann man Betrachtungen darüber anstellen, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn unsere Partei mindestens zwei Jahre früher entstanden wäre und ob es unter dieser Voraussetzung hätte gelingen können, die Revolution des Jahres 1918 in eine sozialistische Revolution, in einen deutsche Roten November zu verwandeln.

Es ist legitim, darüber zu diskutieren, warum Hugo Eberlein noch nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts von der Parteiführung darauf festgelegt wurde, sich bei Gründung der Kommunistischen Internationale

– gegen seine eigene Überzeugung – der Stimme zu enthalten. Man kann auch darüber debattieren, warum KPD-Führer wie Paul Levi, Ruth Fischer oder Arkadi Maslow schließlich aus der Partei verstoßen wurden.

Man sollte auch fragen, warum Klara Zetkin und Ernst Thälmann zunächst noch in der USPD blieben. Mit ideologischen Unklarheiten hatte das nach meiner Überzeugung nicht das Geringste zu tun, wohl aber mit der begründeten Erkenntnis, erst durch die Gewinnung der Mehrheit der USPD-Mitglieder könne die KPD zur Massenpartei werden. Die geschichtlichen Verläufe sollten beiden recht geben.

Ich gestatte mir in diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung: Ist es hundert Jahre danach und angesichts des Zustandes des linken politischen Spektrums heute nicht vermessen, wenn wir uns nunmehr als große Besserwisser aufführen?

Der beschämende Zustand der Zersplitterung auf der Linken ist doch eine Katastrophe; und dieses Desaster zu überwinden ist unsere vorrangige Pflicht.

Was die theoretischen und strategisch-taktischen Differenzen in den Jahren nach Gründung der KPD angeht, sollten wir also nicht so sehr auf einzelne Personen, sondern mehr auf die tiefer liegenden Ursachen damaliger wie heutiger Probleme schauen.

Wir wissen, daß nach dem Übergang zum imperialistischen Stadium des Kapitalismus in der SPD eine vulgärmarxistische Auffassung um sich gegriffen hatte. Ihr Kern war die Behauptung, Karl Marx und Friedrich Engels seien so zu verstehen, daß der Kapitalismus ökonomisch an eine unübersteigbare äußerste Grenze stoßen werde. Er müsse schließlich automatisch zusammenbrechen. Eine Ausrichtung auf den revolutionären Kampf sei deshalb zweitrangig, wenn nicht gar überflüssig. Das war eine Kernthese des opportunistischen Verrats, der zu Beginn des I.Weltkriegs zum Zusammenbruch der II. Internationale führte.

Die Hoffnung, jedwede nächste Wirtschaftskrise werde zwangsläufig den Untergang des Kapitals bewirken, war eindeutig falsch. Marx und Engels wußten das spätestens seit den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Sie wußten: Die wesensbestimmende Funktion zyklisch auftretender ökonomischer Krisen ist die Vernichtung überschüssigen Kapitals, wodurch das Kapital jedoch zumeist wiederum in die Lage versetzt wird, weiterzumachen.

Nun sollten wir zur Kenntnis nehmen, daß Überreste undialektischer Erwartungen hinsichtlich des Abtritts der kapitalistischen Formation auch noch in der kommunistischen Bewegung der zwanziger und dreißiger Jahre eine Rolle spielten. Es gab immer noch vereinfachende Vorstellungen, die nächste ökonomische Krise werde in eine politische hinüberwachsen und müsse dann in der revolutionären Situation münden. Diese wiederum werde – entsprechende Organisiertheit vorausgesetzt – dem Monopolkapitalismus den Todesstoß versetzen.

Verhält es sich tatsächlich so? Wie die Erfahrung lehrt, ist das nicht der Fall. Zyklische Krisen und revolutionäre Situationen entstehen nicht im gleichen Rhythmus. Um das zu verstehen, ist es zweckdienlich, sich mit der Theorie der „Langen Wellen“ zu beschäftigen. Der Urheber dieser Theorie hieß Nikolai Dmittrijewitsch Kondratjew. Er kam 1892 als Sohn armer russischer Bauern zur Welt, mußte autodidaktisch den Weg zum Abitur bewältigen und wurde als Unterstützer der Sozialisten 1905 und 1911 inhaftiert. Es gelang ihm, an der Universität St. Petersburg bis 1915 Jura zu studieren. Ein Bolschewik war er nicht, aber er betätigte sich als Lehrer für Arbeiter. Er war aktiver Teilnehmer der Februarrevolution 1917 und kurze Zeit Vize-Ernährungsminister der Kerenski-Regierung. 1920 hat er in Moskau ein „Konjunkturinstitut“ gegründet und er war später aktiv an der Ausarbeitung des ersten Fünfjahresplans für die sowjetische Landwirtschaft beteiligt. Sein Institut ist allerdings 1928 aufgelöst worden. 1930 wurde er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und 1938 - im Zuge der „Großen Säuberung“ - erschossen. 1987 ist er – meines Erachtens zu Recht – in der Sowjetunion rehabilitiert worden.

Doch nun zum Angelpunkt der von ihm begründeten Theorie:

1926 veröffentlichte Kondratjew seine Forschungsergebnisse. Der Zeitpunkt ist wichtig. Denn etwa fünf Jahre zuvor war Lenin zu dem Schluß gekommen, die revolutionäre Nachkriegskrise habe ihren Höhepunkt überschritten. Die Wahrscheinlichkeit unverzüglicher siegreicher revolutionärer Umwälzungen außerhalb der Sowjetunion werde sich für eine gewisse Zeit mindern, wenn nicht gar schwinden.

Die Sowjetunion mußte sich angesichts dieser Veränderungen darauf einstellen, den Weg zu finden, eine längere Periode der Isolation zu überstehenUm das zu schaffen, galt es, die auf weiten Teilen des Landes immer noch lastendeökonomische Rückständigkeit zu überwinden. Die entsprechenden Losungen lauteten Alphabetisierung und Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes als Synonym für Fortschritte der Industrialisierung.

Lenin trat dafür ein, in Zeiten des Bürgerkriegs gegründete landwirtschaftliche Kommunen, die sich als nicht lebensfähig erwiesen, aufzulösen und den Bauern einen Zugang zum Markt zu verschaffen. Er betonte, die Sowjetmacht müsse die Schwerindustrie und das Bankwesen uneingeschränkt weiter in der Hand haben; gleichzeitig solle der Kampf um die ökonomische Entwicklung jedoch auch mit kapitalistischen Händen vorangetrieben werden, die es aber natürlich unter strenger Kontrolle zu halten gelte. Die Gesamtheit dieser Veränderungen hieß:

Neue Ökonomische Politik, abgekürzt NÖP.

Ich füge hinzu: Man wird das Wesen der heutigen Wirtschaftspoltik der Volksrepublik China nicht erfassen, wenn man nicht begreift, daß es sich um eine Variante, um eine erweiterte Spielart der von Lenin begründeten NÖP handelt. Wesentlich ist allerdings, stets zu beachten: Lenin betonte, die NÖP sei Klassenkampf. Sie biete die reale Möglichkeit, diesen Kampf zu gewinnen; eine Garantie dafür gebe es allerdings nicht.

Kondratjews Theorie entstandalso vor dem Hintergrund dieser Entwicklung: Die Sicht auf den Zyklus sich etwa alle anderthalb Jahrzehnte wiederholender ökonomischer Krisen und die jeweils damit verbundene Revolutionserwartung sei offenbar eine Vereinfachung der Dinge. Der ökonomische Krisenzyklus werde überlagert von langen, jeweils etwa ein halbes Jahrhundert dauernden „Wellen“. Auslöser einer neuen solchen Welle sei jedesmal ein Schub neuer technologischer Entwicklungen. Das betreffe den Webstuhl, Dampfmaschine und Lokomotive, das Auto und die Elektrizität.

Im Verlaufe dieser längeren Wellen gebe es nun bestimmte Abschnitte, in denen sich an einem bestimmten Punkt ökonomische und politische Krisen so miteinander verflechten, daß in der Tat die Existenz des kapitalistischen Systems umgestoßenwerden könne. Es sei demzufolge aberauch erklärlich, warum die revolutionäre Nachkriegskrise etwa ab Ende 1923 von einer Phase konjunkturellen Aufschwungs in verschiedenen kapitalistischen Staaten abgelöst worden sei. Für die Sowjetunion heiße das, man solle in der Landwirtschaft längere Zeit noch auf marktwirtschaftlicheStrukturen setzen und erst dann zur Kollektivierung übergehen, wenn die Industrie ausreichend Traktoren und landwirtschaftliche Großmaschinen zur Verfügung stellen könne.

Nun wissen wir, es gab 1928 einen Kurswechsel. Kondratjew wurde nun dem Lager der Konterrevolution zugeordnet. Er teilte das Schicksal vieler Unschuldiger, die in jenen Jahren nicht etwa nur politisch kaltgestellt wurden - wofür man in Zeiten erbitterten Kampfes Verständnis aufbringen sollte – sondern umgebracht wurden.

Wer heutzutage im Internet die Begriffe „Theorie der langen Wellen“ oder „Kondratjew-Zyklen“ anklickt, muß sich nun allerdings nicht wundern, daß jener Mann von reaktionären Theoretikern des Monopolkapitals in einen Garanten der Unüberwindlichkeit der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft umgefälscht wird.

Ich bin weit davon entfernt, Kondratjews politischen Lebensweg zu beschönigen. Aber ich spreche über ihn, weil nach meiner Überzeugung eine Analyse dessen, was gegenwärtig unter unseren Augen geschieht, nicht treffsicher sein wird, wenn man sein Herangehen nicht berücksichtigt.

Wie ist die Lage? Zu welchen Schlußfolgerungen führen uns Lenins Erkenntnisse über revolutionäre Situationen heutzutage? Die Fragen lauten:

Erstens :Ist es für die herrschenden Klassen möglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten? Offenbar nicht. Die hektischen Rundumschläge der Trump-Administration und ebenso die internationalen Reaktionen signalisieren eine Zuspitzung der sprunghaft-ungleichmäßigen Entwicklung. Die USA haben sich, von einem sehr hohen Niveau ausgehend, seit längerer Zeit in einen Absteiger verwandelt. China ist dabei, die USA in der Bruttoproduktion zu überrunden.

Die EU und namentlich Deutschland verbuchen beachtliche Exportüberschüsse zu Lasten der USA. Rußland, das nach dem Untergang der Sowjetunion keineswegs als revolutionärer Gefährder des Kapitals einzuschätzen ist, wird vor allem angegriffen, um China vom Erdöl und Erdgas Sibiriens abzuschneiden.

Zweitens : Verschärfen sich gegenwärtig Not und Elend der unterdrückten Klassen über das gewöhnliche Maß hinaus? Ja, so ist es.Das ist spürbar angesichts der sich vertiefenden Gegensätze zwischen Arm und Reich selbst bei uns, in einem der reichsten Länder der Welt. Es ist völlig eindeutig angesichts der Flüchtlingsströme aus dem viel größeren armen Teil der Welt in die kapitalistischen Metropolen.

Drittens: Ist es so, daß sich heutzutage die Aktivität der Massen steigert, die sich in in der „friedlichen“ Epoche ruhig ausplündern lassen und werden große Teile dieser Massen durch bestimmte Fraktionen der „oberen Schichten“ zum Handeln gedrängt? Auch das ist der Fall. Allerdings ist hier die Antwort nicht ganz so eindeutig. Denn unsere Kanzlerin sowie ihr engeres Umfeld verharren noch immer - scheinbar unbeirrt - auf ihrem Weiter so!

Doch die Zahl der Kritiker nimmt auch in den oberen Schichten unverkennbar zu.Deren Appelle an die unteren Schichtenhäufen sich und sie sind unüberhörbar.

Viertens jedoch ist zu fragen: Werden angesichts dieser Lage die Ausgebeuteten die Herrschaft des Kapitals zu Fall bringen? Nein, das werden sie nicht, sondern es droht – nicht nur hierzulande - die „bonapartistische“ Lösung . Es droht Faschismus in diversen nationalspezifischen Varianten.

Faschismus geht immer einher mit Rassismus. Nur so kann die extreme Reaktion sich eine Massenbasis schaffen. Es ist aber grundfalsch, Faschismus auf den Rassismus zu reduzieren.

Rassismus kennt allerdings unterschiedliche Varianten. Der verbrecherische Judenhass der deutschen Faschisten führte zum schrecklichsten Massenverbrechen der Geschichte. Aber auch die Behauptung Mussolinis, der italienische Faschismus sei der direkte Erbe des antiken römischen Weltreichs und demzufolge berechtigt, die Völker Nordafrikas und Äthiopiens durch Massenmord zu unterjochen, war rassistisch.

Wer fremde Völker knechten will, die nicht eindeutig einer anderen Rasse zuzuordnen sind, wird die eigene Nation zum Herrenvolk erheben, das berufen sei, Untermenschen zu drangsalieren. So verfuhren die deutschen Faschisten mit Polen und Russen, obwohl sie eigentlich diese Slawen ebenso wie die Kelten wegen deren „arischer“ Abstammung hätten ans Herz drücken müssen. Genauso abnorm ist heutzutage rassistische Feindschaft gegen Araber. Wenn führende Leute der AfD „Ethnisches Profiling“ zum unverzichtbaren Bestandteil ihrer Programmatik machen, dann klingt das zwar etwas gefälliger als „arischer Nachweis“, aber es ist Rassismus. Wenn die gegenwärtige reaktionäre Regierung des Staates Israel jegliche Kritik als „Antisemitismus“ brandmarkt, ist das heuchlerisch, denn sie baut darauf, bei ihren jüngsten Entrechtungsmaßnahmen gegen alle arabischstämmigen Staatsbürger werde die Welt übersehen, daß die große Mehrheit der Semiten – also der nach jüdischer wie christlicher Überlieferung von Sem, dem ältesten Sohne Noahs abstammenden Menschen – eben die Araber sind.

Das sind die Fakten und das größte uns bedrückende Übel, ist die offenkundige Unfähigkeit der linken Gegenkräfte, diese Gefahren effektiv zu bekämpfen und sie zu beseitigen. Angesichts der Niederlage des Sozialismus in Europa und unseliger Spaltungen der linken Front in sich belauernde kleine konkurrierende Organisationen wird Handlungsunfähigkeit zementiert. Die von Lenin geforderte subjektive Fähigkeit der revolutionären Klasse zu revolutionären Massenaktionen, genügend stark, um das System zu stürzen oder zu erschüttern, wird so unterminiert.Entsprechendernst ist die Lage und es ist deshalb keineswegs auszuschließen, daß die gegenwärtige „lange Welle“ - auf der Grundlage der „digitalen“ Umwälzung der Produktion - einePhase kapitalistischer Konjunktur faschistischer Prägung gebiert.

Worauf kommt es deshalb jetzt vor allem an? Wir müssen beharrlich ins Bewußtsein heben, daß es keinen Marxismus ohne Bekenntnis zu historischen Mission der Abeiterklasse und zum proletarischen Internationalismus gibt. Natürlich gibt es gute Gründe, sich gegen Umweltsünden, für rechtliche Fortschritte bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften usw. einzusetzen. Das alles ist wichtig und größtenteils zu bejahen. Man kann sich daraus eine Theorie des „Gutmenschen“ zimmern. Aber auf Marx, Engels und Lenin darf man sich nicht berufen, wenn man seine Aktivitäten auf derlei Themen einengt.

Es ist allerdings nicht zu bestreiten, daß wir gegenwärtig – angesichts der „digitalenRevolution“ - ernsthaft gefordert sind, unser traditionelles Bild der Arbeiterklasse zu aktualisieren. Es gilt, wie im Kommunistischen Manifest, ihreEigentumslosigkeit an Produktionsmitteln wieder eindeutig als dominierendes Merkmaldieser Klasse zu begreifen. Denn viele andere Eigenschaften der Arbeiterklasse, die in früheren Jahrzehntendurchaus bestimmend waren, unterliegen ja in der Tat einem Wandel. Reaktionäre Ideologen sind hocherftreut, diese Chance nutzen zu können, um solche Veränderungen in Beweise für eine Marginalisierung oder gar des Verschwindens der Arbeiterklasse umzudeuten. Es istzu betonen, daß die Widerlegung solcher Irrlehren eine anstrengende und anspruchsvolle Aufgabe ist. Doch wir müssen uns dieser Pflicht stellen und dürfen keineswegs dem Irrtum anheimfallen, es reiche aus, diese Problematik schlicht zu negieren.

Ebenso anspruchsvoll ist es, den Internationalismus zu verteidigen. Wir gehören selbstverständlich zu denen, die davon überzeugt sind, daß verschiedene Hautfarben niemals Ursache unterschiedlicher Bewertungen von Mitmenschen sein dürfen. Problematisch wird es allerdings, wenn diese edle Sicht zur Übertreibung verleitet, wenn also unterstellt wird, jeder Mensch anderer Hautfarbe gehöre von vornherein„zu den Guten“. Ich war in meinem Arbeitsleben viel unterwegs in der Welt. Meine Erfahrung ist: Der prozentuale Anteil von Intelligenten und Blöden, der Anständigen und der Ganoven, ist unter den Nationen ziemlich gleich.

Es gilt darum, immer klassenmäßig heranzugehen.

Daraus folgt: Wir sind verpflichtet, den Asylparagraphen des Grundgesetzes zu verteidigen. Das ist einer der guten Paragraphen, eine Reaktion auf die tragischen Erfahrungen deutscher Emigranten in der Nazizeit, die so oft vor geschlossenen Grenzen umkehren mußten. Es muß klar bleiben: Wer in seinem Heimatland erleben mußte, wie Verwandte und Nachbarn, sowie politisch Gleichgesinnte, erschossen, gejagt und gefoltert wurden, für den müssen unsere Türen offen sein. Das gilt vor allem für jene, die gewillt sind, bei einer Änderung der Verhältnisse ins Heimatland zurückzukehren, um alleKraft dafür einzusetzen, ihr Vaterland voranzubringen.

Wir wissen: die Palette der Fluchtgründe ist breit und differenziert. Es kommen hierher auch nicht nur die Edelsten der Völker. Es kommen mit den Flüchtlingsströmen auch Kriminelle. Sie müssen – ohne jeglichen Bezug auf Haut- oder Augenfarbe - wie deutsche Straftäter zur Rechenschaft gezogen werden.

Oder - der Klarheit wegen - anders herum: Deutsche Ganoven haben keinen Anspruch darauf, nachsichtiger behandelt zu werden.

Es ist bei dieser komplizierten Problematik auch zu beachten, daß die Ärmsten der Völker, Proletarier etwa aus dem Zentrum des afrikanischen Kontinents, es garnicht bis zu uns schaffen. Sie verfügen nicht über 5000 Dollar die an die Schleuser zu entrichten sind, um zunächst wenigstens bis Libyen zu gelangen.

Und es gibt eine weitere Problematik, die unseren Internationalismus und die Arbeiterklasse betrifft. Bei der Analyse der wechselseitigen Beziehungen der Klassen müssen wir stets zuerst die ganze Welt im Auge haben, bevor wir speziellere Schlüsse bezüglich unseres eigenen Landes ableiten. Warum ist das so? Deutschland gehört zu den führenden imperialistischen Ländern der Welt. Sein gewaltiger Außenhandelsüberschuß, der ja sogar die Beziehungen mit den USA stark belastet, ermöglicht es den hierzulande Herrschenden, zur Abwehr einer wirklich kampffähigen Gegenfront ein Sozialsystem zu finanzieren, das – verglichen mit vielen anderen Regionen der Welt – selbst den Armen einigermaßen erträgliche Verhältnisse bietet. Um es zuzuspitzen: Viele der Armen in Deutschland registrieren die Tatsache, daß zwischen hiesigen Beihilfen und dem Lohnniveau von Facharbeitern etwa in Pakistan noch eine ziemlich abschüssige Strecke liegt. Sie hätten also noch etwas zu verlieren. Ganz Primitive denken so: Wenn für mich ein Asylbewerber ausgewiesen wird und ich bekomme dazu, was er jetzt monatlich den Staat kostet, dann wäre ich doch gut bedient.

Vor allem Lenin war es, der derartige objektive sozialökonomische Wurzeln des Opportunismus aufgedeckt hat. Also: Manchen Mitbürger, der schon am Boden liegt, hindert Egoismus, internationalistisch zu denken und zu handeln. Es ist doch zu schön, zu meinen, der Zufall der Geburt in einem so reichen Land und eine hellere Hautfarbe lieferten bereits die Garantie, höhere Ansprüche haben zu dürfen als jeder Klassenbruder, der das Pech hatte, in einem armen Land zur Welt gekommen zu sein.

Fassen wir zusammen: Im Lichte der Erfahrungen der Novemberrevolution sowie der Gründung und Entwicklung der KPD kommen wir zu dem Schluß: Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Dieser Tatsache haben wir uns zu stellen. Daß das schwer ist, kann nicht bezweifelt werden. Gerade angesichts der Schande der Niederlage des europäischen Sozialismus vor knapp drei Jahrzehnten erfordern Lösungen unerhört viel Kraft und Ausdauer.

Wir stehen in der Pflicht!