Bericht über die Repressionen gegenüber der FDJ in München
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- Kategorie: Inland
- Veröffentlicht am Donnerstag, 19. März 2015 14:52
- Geschrieben von estro
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14.03.2015
Eine Rechtsauffassung wie 1951 in der „Hauptstadt der Bewegung“
14 Festnahmen, unzählige beschlagnahmte Kundgebungsmittel und Publikationen mit der aufgehenden gelben Sonne auf blauem Grund und jetzt auch die ersten Hausdurchsuchungen – so die vorläufige Bilanz von fünf Wochen gewissenhafter Ermittlungsarbeit der Münchner Staatsanwaltschaft gegen die Freie Deutsche Jugend. Am Morgen des 13. März gegen 6:30 Uhr durchsuchten Beamte des Kommissariat 43 der Kriminalpolizei zeitgleich eine Privatwohnung und eine Geschäftsadresse in München. In erster wurden nicht nur das vom Beschuldigten bewohnte Zimmer und die Gemeinschaftsräume über 2,5 Stunden durchsucht und jedes einzelne Blatt Papier auf einen vermeintlichen Bezug zur FDJ geprüft, sondern widerrechtlich und ohne Beschluss auch ein zweites, von einer unbeteiligten Person bewohntes Zimmer (wobei der rechtskräftige Durchsuchungsbeschluss ausdrücklich darauf hinweist, dass weitere Beschuldigte noch unbekannt seien). Beschlagnahmt wurden ein Laptop, ein Handy, SD-Karten, diverse Zeitschriften, Flugblätter, Aufkleber und andere Materialien, die laut Beschluss „Aufschluss darüber geben [sollen], wer am 10.12., 16.12. und 17.12. Flugblätter mit dem Emblem der Freien Deutschen Jugend an Münchner Schulen verteilt hat“.
Bei dem zweiten Objekt handelte es sich um das „Haus mit der Roten Fahne“ im Münchner Westend, in welchem die FDJ zwar über eine Postadresse verfügt, nicht aber über Räumlichkeiten. Dass der Durchsuchungsbeschluss lediglich „die Räume der Organisation Freie Deutsche Jugend“ umfasste, kümmerte die ausführenden Beamten indes wenig. Sie nahmen widerrechtlich einen Teil des Gebäudes in Augenschein. Nach eigener Aussage wären sie auch ohne Zeugen mit Hilfe eines Schlüsseldienstes in das Objekt eingedrungen, wäre ihnen nicht geöffnet worden. Beschlagnahmt wurden Aufkleber, Zeitschriften und Flugblätter mit dem Emblem der FDJ.
Die Verwendung des FDJ-Emblems stelle einen Straftatbestand nach §86a StGB dar, weil die Organisation 1951 durch die Bundesregierung und 1954 durch das Bundesverwaltungsgericht in Westdeutschland verboten wurde.
„Gewissenhaft ist der politische Arm des Gewaltenapparats nur in einer Rechtsauffassung, die kurz nach dem Faschismus von alten Nazis geschaffen wurde, als Zehntausende gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands kämpften. Sie richtet sich gegen eine Organisation, die jugendliche Antifaschisten unterschiedlicher Weltanschauung 1936 im Exil gründen mussten. Mangelhaft ist ihre Kenntnis der Rechtslage, die sie sich selbst eingebrockt haben.“ Worauf Michi von der FDJ-Gruppe München anspielt, ist der Umstand, dass die Jugendorganisation im Westen nicht mehr verboten ist, seit durch den Einigungsvertrag von 1990 mit der DDR auch alle in der DDR existierenden Vereinigungen angeschlossen wurden. In diesem Sinne urteilte zuletzt das Amtsgericht Berlin-Tiergarten im April 2014 und so urteilte bereits 1991 das Amtsgericht München in politischen Prozessen gegen FDJ-Mitglieder.1 Dem Handeln der Münchner Staatsanwaltschaft scheint die Ansicht zugrunde zu liegen, dass es auch im 25. Jahr der „Deutschen Einheit“ noch zwei deutsche Staaten mit unterschiedlichen Rechtsordnungen gebe.
Bei näherer Betrachtung der gegenwärtigen Ereignisse in München wird die Willkür polizeilichen Vorgehens offenkundig – um nur zwei Beispiele zu nennen: Einmal finden Kundgebungen oder Flugblattverteilungen der FDJ unbehelligt statt, ein anderes Mal werden Jugendliche festgenommen, weil sie gegen Nazis demonstrieren. Während – wie etwa am 22. Februar bei Protesten gegen einen Messestand der Bundeswehr – zwei FDJler festgenommen werden, verteilen 100 m Luftlinie weiter Jugendliche in Blauhemd unter Polizeibeobachtung Flugblätter. Die am vergangenen Freitag unter rechtswidrigen Umständen erfolgten Hausdurchsuchungen zeigen jetzt eine neue Qualität der Repression, die auf die Zerschlagung der Gesamtorganisation abzuzielen scheint.
„Die Gefahr für die bürgerliche Demokratie geht heute nicht vom rassistischen Mob aus, der wieder marschiert, sondern vom Staatsapparat selbst, der rechtsstaatliche Prinzipien aushebelt und die offene Willkür an ihre Stelle setzt. Wo unter zugespitzten Widersprüchen zwischen den Weltmächten der nächste große Krieg in der Luft liegt, wundert es wenig, dass verstärkt gegen Antimilitaristen vorgegangen wird“, schätzt ein anderes Mitglied der Münchner FDJ die Hintergründe ein.
Man kann nur rätseln, was den bekanntermaßen von Beißreflexen gegen gesellschaftlichen Fortschritt geplagten Staatsanwalt Preuß geritten hat, dieses Organisationsverbot aus der Mottenkiste zu holen. In jedem Fall hat die Geschichte des staatlichen Gewaltmonopols in Deutschland gezeigt, dass zunehmende polizeiliche Willkür, Rechtlosigkeit, Einschüchterung und Verfolgung nicht an den Grenzen einer Organisation halt machen. Heute trifft es die FDJ in München, morgen wird es andere antifaschistische und antimilitaristische Zusammenhänge treffen, wie in der bundesdeutschen Realität die Verhaftung von Antifaschisten und Kriegsgegnern längst wieder zum Alltag gehört.
Weitere Informationen zu den angesprochenen Vorfällen finden sich unter www.FDJ.de, Kontakt zur Münchner FDJ-Gruppe gibt es über Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! .
Vorläufige Chronologie zur Repression gegen die FDJ in München
3. Oktober 2012:
Ein Genosse wird wegen Tragens der FDJ-Fahne festgenommen. Das eröffnete Strafverfahren wird eingestellt.
Frühjahr 2014:
Verteilung von Einladungen zu einer antifaschistischen Filmveranstaltung an mehreren Schulen. Bei einer Schule wurde das Verteilen durch Polizei, Staatsschutz und Platzverweis behindert, Belehrungen oder Konsequenzen gab es keine.2
1. Mai 2014:
Unbehelligtes Auftreten in Blauhemden und mit Transparent trotz starkem Polizeiaufgebot.
Dezember 2014:
Verteilung von tausenden Flugblättern für eine Veranstaltung gegen Militarisierung über zwei Wochen an acht Münchner Schulen, die Polizei wurde mutmaßlich mind. 3x gerufen, kam aber nicht. An einer Berufsschule meldeten wir eine Kundgebung als FDJ an und haben diese ca. 1 Stunde lang mit FDJ-Transparent und einem Polizeiauto auf der anderen Straßenseite sowie unter Staatsschutz-Beobachtung unbehelligt durchgeführt. Die Kriminalpolizei suchte daraufhin die im V.i.S.d.P. angegebene Adresse auf, um die am Briefkasten genannten Namen zu kontrollieren, und fragte die Nachbarn des presserechtlich verantwortlichen Genossen an dessen Privatadresse über ihn aus.
2. Februar 2015:
Bei einer Versammlung gegen den rassistischen „Pegida“-Ableger „Bagida“ wurden am Schluss der Kundgebung ein Genosse sowie drei Freunde wg. §86a StGB vorübergehend festgenommen, eine Fahne, ein Transparent und mehrere Flugblätter beschlagnahmt. Zwei Betroffene kamen relativ schnell wieder auf freien Fuß, zwei Freunde, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in München leben, wurden für ca. 3 Stunden zunächst in der Kälte festgehalten und dann ohne Rechtsbeistand, Belehrung, juristischen Vertreter oder Übersetzer rechtswidrig verhört. Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ (Vorderseite) und „Rassisten sind Schweine“ (Rückseite). Die Rassisten demonstrierten von der Polizei ungestört. In diesem Zusammenhang wurde eine Person polizeilich als Zeugin geladen, weil während einer Schulverteilung im Dezember eine Nötigung begangen worden sei. Kurz darauf wurde sie wieder entladen. Nähere Erläuterungen gab es nicht, die Ermittlungen wegen dieser angeblichen Nötigung laufen noch.
7. Februar 2015:
Die FDJ nahm ca. 2,5 Stunden mit Fahne, Zeitschrift, Flugblättern, Blauhemden und Transparenten an der Auftaktkundgebung und Demonstration gegen die Nato-Sicherheitskonferenz teil. Gegen eine vermeintliche Straftat wurde nicht eingeschritten – trotz ständiger Begleitung durch ca. 20 Zivilbeamte. Erst während der Abschlusskundgebung wurden 7 Freunde und Genossen verhaftet und bis zu 5 Stunden festgehalten. Beschlagnahmt wurden 2 Blauhemden, 1 Fahne, ein Transparent mit der Aufschrift „Ausbildungsplätze statt Kriegshetze! Schluss mit der Militarisierung von Kindern und Jugendlichen!“ sowie eines ohne FDJ-Emblem mit der Aufschrift „Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Karl Liebknecht“. Für die verteilten Flugblätter interessierte sich die Staatsanwaltschaft explizit genauso wenig, wie für die Zeitschrift „Fanfare“ mit FDJ- Emblem. Ukrainische Nationalisten demonstrierten an diesem Tag unter Nazisymbolen unbehelligt, die Kriegsstrategen tagten, ohne aufgrund Art. 26 GG belangt zu werden.
9. Februar 2015:
Ein Genosse wird bei einer Kundgebung gegen Rassisten festgenommen und eine Fahne beschlagnahmt. Für die verteilten Flugblätter mit FDJ-Emblem interessierte man sich nicht.
16. Februar 2015:
Drei Personen nehmen mit einem auf drei Schilder verteilten FDJ-Emblem an einer Demonstration teil. Die Aussage der Polizei: Die Schilder sind in Ordnung, aber die Flugblätter müssen beschlagnahmt werden, weil sie einen „Bezug zu München“ haben.3 Eine Beschlagnahme erfolgte nicht.
20. Februar 2015:
Während einer Kundgebung des internationalen Antikriegszuges „Klassenkampf statt Weltkrieg“ treten wir ohne belangt zu werden mit Fahne und Blauhemd auf und reden als FDJ von der Bühne. Ebenso unbehelligt treten wir an anderen Plätzen auf. Vom 20.-22. Februar werden in München ca. 2.000 FDJ-Flugblätter verteilt – ohne Konsequenzen.
22. Februar 2015:
Während der Aktionszug Klassenkampf statt Weltkrieg vor dem Messegelände in Riem stand, haben mehrere Jugendliche gegen einen Stand der Bundeswehr in der Messehalle protestiert. Zwei Genossen wurden festgenommen, weil sie ein T-Shirt bzw. Blauhemd mit FDJ-Emblem trugen und Flugblätter verteilten. Das Transparent wurde gerettet, die genannten Gegenstände beschlagnahmt. Die Armee macht bei Kindern und Jugendlichen Werbung für den Krieg und jugendliche Kriegsgegner werden verhaftet. Zeitgleich stehen vor dem Eingang zur Messen mindesten fünf Personen in FDJ-Blauhemd und etliche Verteiler mit FDJ- Flugblättern, die nicht belangt wurden. Vor der Polizeiwache fand später eine spontane Protestkundgebung mit 11 Freunden und Genossen, mit Liedgut der FDJ und Sprechchören statt, die die Herausgabe der Gefangenen beschleunigte.
3. März 2015:
Bei Protesten gegen eine Kundgebung offener Faschisten vor dem Justizgebäude, in dem der NSU-Prozess stattfindet, wurde ein Genosse durch Zivilpolizisten mit Namen angesprochen und auf die angebliche Strafbarkeit des Verteilens der Flugblätter hingewiesen. Nachdem bereits überall verteilt worden war, einigte man sich darauf, die Flugblätter wegzupacken.
13. März 2015:
Hausdurchsuchungen bei einem Genossen unter Beschlagnahmung von Archivmaterialien, Computer, Handy, Speichermedien etc. Oben genannte Schilder, die „in Ordnung seien“, also 3 Wochen vorher noch keinen Straftatbestand erfüllten, werden zum Anlass genommen, ein weiteres Zimmer zu durchsuchen, das nicht einmal von dem zweiten Betroffenen bewohnt wird. Ein schriftlicher Beschluss zu dieser spontan erweiterten Maßnahme wird nicht vorgelegt, der vorgelegte Durchsuchungsbeschluss weist indes ausdrücklich darauf hin, dass weitere Beschuldigte noch unbekannt seien. Zeitgleich wurde rechtswidrig ein Gebäude durchsucht, bei dem die FDJ lediglich über eine Postadresse, nicht aber über eigene Räumlichkeiten verfügt. Dass der Durchsuchungsbeschluss lediglich „die Räume der Organisation Freie Deutsche Jugend“ umfasste, kümmerte die ausführenden Beamten wenig. Nach eigener Aussage wären sie auch ohne Zeugen mit Hilfe eines Schlüsseldienstes in das Objekt eingedrungen, wäre ihnen nicht geöffnet worden.
Soweit die vorläufige Bilanz – Fortsetzung folgt...
[1] Vgl. beispielsweise Urteil des Amtsgericht München vom 13. Februar 1991 (431 es 111 Js 4249/90): „Soweit der Angeklagten zur Last lag, auch gegen die Vorschrift des verbotenen Uniformtragens gemäß §§ 86 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB verstoßen zu haben, war die Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Das Rechtsgut des § 86 a StGB ist durch das Tragen des FDJ-Abzeichens nicht mehr betroffen [...].Das Gericht ist der Auffassung, daß bei Tragung des FDJ-Kennzeichens nach der Wiedervereinigung eine Wiedereinbürgerung nicht zu vermeiden ist. Im Gegenteil das Zeichen ist bereits durch den Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland wieder eingebürgert. In den neuen Bundesländern ist es an der Tagesordnung, sich der FDJ zugehörig anzusehen [...]. Es kann nicht angehen, sich durch das Tragen des FDJ-Zeichens strafbar zu machen, wenn eine Jugendorganisation einer im Bundestag vertretenen Partei durch das FDJ-Zeichen nach außen repräsentiert wird. Durch das Tragen des FDJ- Zeichens ist damit § 86 a StGB nicht mehr tangiert.“
[2] Aussage eines Polizisten: „Die FDJ Ost ist verboten und die FDJ West ist erlaubt – wozu gehört jetzt München?“
[3] Schon in anderen Verfahren hatten Staatsanwälte und Richter Probleme damit, das Emblem der FDJ Ost von dem der angeblich verbotenen FDJ West zu unterscheiden. Jetzt scheint der „München-Bezug“ die Maßgabe für eine strafrechtliche Relevanz zu sein.