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Die Notwendigkeit der Klarheit über die ökonomische Struktur Russlands

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von Emiliano Cervi, Salvatore Vicario

Wir alle wissen: Die Welt ist in ständigem Fluss, die USA sind eine Weltmacht im Abstieg (und genau aus diesem Grunde besonders gefährlich) und sie sind mehr und mehr konfrontiert mit dem wachsenden internationalen Einfluss anderer Länder, die aufsteigen und ihre dominante Position versuchen zu untergraben. Das ist unter einem speziellen Gesichtspunkt eine gute Sache: die vermehrten ökonomischen und/oder politischen Zusammenstöße zwischen diesen Mächten, die Lenin als „die tiefsten Widersprüche des Imperialismus“ bezeichnete1, der größere Spielraum für diejenigen, die nach oben streben und die jede Gelegenheit nutzen, die sich national und international in einem System, dass im Fluss ist, ergeben.

Kommunisten müssen ihre Taktik den jeweiligen Gegebenheiten von Zeit zu Zeit flexibel und pragmatisch anpassen, denn der Marxismus-Leninismus ist kein theologisches Dogma, sondern das Handwerkszeug, das uns die Möglich gibt, die Welt um uns herum zu analysieren und zu verstehen. In dem überschaubaren Szenario, welches der kleine Kreis der Kommunisten heute bietet, gibt es Tendenzen, diesen notwendigen Pragmatismus derart zu übertreiben, dass sie vielleicht nicht gleich die Grundlagen unserer Theorie beschädigt werden und wir in den Opportunismus abgleiten, aber es werden die Fakten verfälschen. Und das ist möglicher Weise noch gefährlicher.

 

Die UdSSR, Russland und Putins neuer Kurs

Eine der beunruhigendsten (und, lasst es uns sagen: auch bizarren) Verfälschungen besteht darin, die UdSSR mit dem zu vergleichen, ja fast schon gleich zu setzen mit dem, was Russland heute ist. Die Rehabilitation einer glorreichen Vergangenheit, ein Revival der Symbole und Rituale aus der Zeit des Sozialismus haben manche Genossen unglaublich verwirrt. Es ist nicht unüblich, dass Kommentare zu lesen sind wie: „Lang lebe Genosse Putin“, „Putin baut die UdSSR wieder auf“, „Ich weiß, die Sowjetunion kommt wieder“ usw.

Unzweifelhaft hat Russland die erste post-sowjetische Periode überwunden, in der es einen massiven Ausverkauf des ökonomischen, politischen und kulturellen Reichtums des Volkes an die großen westlichen Spekulanten, Profiteure und Gangster gab. Inzwischen führen keine Alkoholiker mehr da Land, stattdessen ein Staatsmann, kompetent und auf der Höhe der Zeit (er hat es beim KGB gelernt). Diese Faktoren haben dieses Image geformt, haben geholfen, solche Verfälschungen wie die oben genannten bei der Einschätzung Russlands entstehen zu lassen.

Um Klarheit zu schaffen, müssen wir uns zunächst fragen: Was macht ein Land zu einem sozialistischen Land? Es ist ein Fakt, dass die Kommunistische Partei das Land führen muss (als Avantgarde des Proletariats), aber wirklich entscheidend dafür, das System zu bestimmen ist die Ökonomie, die wir genau analysieren müssen, um alle Zweifel auszuräumen und Klarheit zu gewinnen.

Entweder sind die Produktionsbedingungen und Produktionsmittel in der Hand der Arbeiterklasse, und dafür müssen sie sozialisiert worden sein, oder man kann nicht und sollte nicht von Sozialismus sprechen. Außerdem muss man aufmerksam sein, denn nicht jede Nationalisierung ist auch eine Sozialisierung. Eine Nationalisierung enteignet einen bestimmten Produktionszweig oder einen bestimmten Großbetrieb, ohne die Eigentumsverhältnisse gesamtgesellschaftlich zu verändern. Beispielsweise waren in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Italien viele strategische Unternehmen in staatlicher Hand (Energie, Stahl usw.), aber hieß das, dass Italien ein sozialistisches Land war? Wer besaß den Reichtum des Landes? Waren es die Arbeiter oder war es die exklusive Gruppe von Großunternehmern, die die Regeln der Ökonomie und der nationalen Politik kontrollierten und noch immer kontrollieren?

Der erste Faktor also, den Kommunisten analysieren müssen, ist die ökonomische Struktur eines Landes. Und da hat es in Russland eine große Veränderung geben verglichen mit der Zeit der Sowjetunion. Als Resultat der Konterrevolution gab es eine Rückkehr zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen, in denen die Produktionsmittel und die Produktionsbedingungen sich in privaten Händen befinden und in denen es nicht Ziel der Produktion ist, die Bedürfnisse des Volkes zu befriedigen, sondern die Profite der Kapitalisten, also derjenigen, die die Produktionsmittel in ihren Händen halten, zu sichern.

Während der Reichtum in der UdSSR der Wohlfahrt des Volkes diente, das waren die Industrialisierung, Dienstleistungen, Gesundheitsfürsorge, Verkehr, Bildung, Erziehung, Sicherheit und Frieden, dient heute der Reichtum der ehemaligen Sowjetrepubliken dazu, die Brieftaschen der Manager, Spekulanten, Banken wie Sberbank, VTB-Bank, Alfa Bank, Raffeinse-Bank oder der Blagosostoyanie, und großen Kapitalgesellschaften wie Gazprom, Rosneft, Lukoil, Rusal usw. zu füllen. Sie alle sind verbunden mit den politischen Institutionen, wie wir bei den nächsten Details sehen werden.

Wir werden auf Zahlen und Statistiken zurückgreifen, um die Argumentation zu stützen: Die Statistik über den Kapitalexport Russlands ist sehr interessant. In den ersten Jahren des „neuen Russland“, den 90er Jahren, war der Anteil russischen Kapitals, das in den Rest der Welt exportiert wurde, sowohl statistisch als auch ökonomisch verschwindend gering. Es gab eine Kapitalflucht aus Russland (was nicht das Gleiche ist wie ein Kapitalexport) und die westlichen Neokapitalisten zogen jährlich rund 15 – 20 Milliarden Dollar aus Russland ab. Das Land war im Prozess auszubluten. Mit dem Ende der Jelzin-Regierung änderte sich die Situation, der russische Kapitalismus entwickelte sich in eine neue Phase, in welcher sowohl das industrielle als auch das Bankkapital schnell wuchsen und der Kapitalexport eine zunehmend größere und inzwischen die wichtigste Rolle einnimmt. Das ist die Entwicklung, die, sich von Jahr zu Jahr verstärkend und konsolidierend (nur die Krise 2007/8 verlangsamte den Prozess vorübergehend etwas), Russland zu einem komplett imperialistischen Land macht.

 

Hier die gerundeten Zahlen, Kapitalexport Russlands in Mrd. Dollar2 (2)

2000: 37

2001: 44

2002: 70

2003: 153

2004: 152

2005: 368

2006: 562

2007: 747

2008: 371

2009: 443

2010: 558

2011: 534

2012: 794

Seit 2000 sind die ausländischen Direktinvestitionen des russischen Monopolkapitals außerordentlich stark gestiegen.

 

Russland und die Wesensmerkmale des Imperialismus

Nach den Angaben der Forbes-Liste gibt es heute 110 Dollar-Milliardäre in Russland, deren Privatvermögen rund 320 Milliarden Dollar beträgt, damit liegt Russland, was diese Größenordnung angeht, auf Platz drei nach den USA und China. Der so genannte Gini-Koeffizient3 der statistischen Analyse der sozialen Ungleichheit liegt in Russland bei etwa 41,7. (Zum Vergleich: Deutschland liegt beim GINI-Koeffienten zwischen 25 und 30, Italien zwischen 30 und 35, die USA zwischen 40 und 45, Südafrika bei 65.)

Indem wir die charakteristischen Merkmale des Imperialismus, wie sie Lenin herausgearbeitet hat, analysieren - wir fokussieren uns auf die ersten drei - können wir feststellen, dass die hohe Konzentration der Produktion in Russland schon durch die UdSSR und deren sozialistische Industrie geschaffen worden ist, weshalb die Herausbildung von kapitalistischen Monopolen nicht mehrere Jahrzehnte in Anspruch nahm, sondern wesentlich schnell ablief, indem die führenden Großbetriebe in Privateigentum übergingen.

In der Forbes-Liste der 100 größten Monopole der Welt sind 28 russische aufgezählt, wie z.B. Gazprom, Lukoil, Rosneft und Sberbank. Die russische Ökonomie ist hoch konzentriert; in vielen Sektoren ist die Konzentration höher als in den USA oder in Deutschland. Zum Beispiel lag der Anteil, den die 10 größten Monopole Russlands im Jahr 2006 am Bruttoinlandprodukt hatten, bei 28,9 %, während er sich in den USA nur auf 14,1 % belief. Die meisten Sektoren der Ökonomie in Russland sind hoch konzentriert, z.B. der Energiesektor, der Maschinenbau, das Transportwesen und die Lebensmittelproduktion. Wir können feststellen, dass wir es in Russland mit einem Monopolkapitalismus zu tun haben, der hoch konzentriert ist und eine starke staatliche Präsenz zeigt.

Was die Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital angeht: dies ist längst geschehen. Die Sberbank ist eine der größten Banken der Welt, aber die VTB-Bank, die Alfa-Bank und die Raffeinse-Bank spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle in der russischen Ökonomie. Die großen Banken sind eng verflochten mit dem Industriekapital, man hält gegenseitig Aktien und sitzt gegenseitig in den Aufsichtsräten. Manche Banken sind direkte Gründungen des Indistriekapitals wie die Gazprom-Bank, Uralsib, Promsvjas-Bank.

Die Gazprom-Gruppe besitzt die Gazprom-Bank und den privaten Pensionsfonds „Gazfonds“. Diese größte der russischen Industriegruppen besitzt daneben die Versicherungsgruppe „Sogas“ und ist führend bei den Invest-Banken und den Pensionsfonds.

Der bekannte Oligarch Vekselberg besitzt die Renova Holding (mit Sitz auf den Bahamas), zu der die russische „Renova“-Gruppe gehört, eine internationale Gesellschaft für Privatgeschäfte, die aus Aktiengesellschaften besteht, die im Gesundheitswesen tätig sind und eine rege Investitionstätigkeit zeigen, so in den Bereichen der Erzgewinnung und des weiteren Bergbaus, der Ölgesellschaften, des Maschinenbaus, der Energieversorgung, der Telekommunikation, der Nanotechnologie, der Chemieindustrie und dem Finanzsektor. Die Renova-Gruppe hält große Anteile an führenden russischen und internationalen Aktiengesellschaften, wozu unter anderem gehören: UC Rusal, Integrated Energie Systems, Oerlikon, Sulzer, Schmolz&Bickenbach. Die Renova.Gruooe investiert in Russland, der Schweiz, in Italien, in Südafrika, in der Ukraine, in Lettland, in der Mongolei, in Kirgistan usw. Der Gruppe gehört außerdem die Metkombank, eine der größten Banken in Russland, die inzwischen zu den 50 bei Investoren beliebtesten Banken zählt. Gleichzeitig besitzt der Oligarch Vekselberg einen Teil von UC Rusal, dem größten Aluminium-Hersteller der Welt, und er ist Miteigentümer von Norilsk Nickel, einer russischen Aktiengesellschaft, die Nickel und Palladium verhüttet.

Die Oligarchen Alisher Usmanov, Vladimir Skoch und Farhad Moshiri besitzen die MetaUoinvest, eine der größten Gruppen im Minen und Metallgeschäft Russlands, spezialisiert auf die Stahlproduktion. MetaUoinvest wiederum besitzt die Oskol Steel Works, Ural Steel und andere Industrien. Bis zum letztem Jahr gehörte ihnen auch die Round-Bank (zuvor Ferrobank), die sie verkauft haben an ihren Freund Leon Semenenko und der wiederum die Hessen Holding Ltd. und die Nenburg Finance Ltd. gehören, ansässig auf Cypern, beide Letztgenannten halten 50 % der Anteile an der SibConsultGroup Ltd., dem einzigen Eigentümer der Round-Bank. 2012 gründete Usmanov, einer der reichsten Männer der Welt, die USM Holdings, womit zahlreiche Investitionen in unterschiedliche Telekommunikationsgesellschaften zusammengeführt wurden, solche wie Garsdale, die wiederum 50 % der MegaFon kontrolliert, MegaFon ist der zweitgrößte Handynetz-Anbieter in Russland, und MegaFon besitzt 100 % der Aktioen der Scartel/Yota AG, ein 4 G Provider, 50 % von Euroset, dem größten Handy-Einzelhändler in Russland. Alle diese Gruppen haben Interessen an und Leute in der Round-Bank.

Der Oligarch Prokhorov besitzt eine Vielzahl von Gesellschaften. Wir wollen einige von ihnen aufzählen: Onexim Holding Ltd (Sitz auf Zypern), die die Gruppe OptoGaN besitzt, Hersteller von lichtstarken LED-Lampen. Prokhorov besitzt außerdem die Opin und die Quadra Power Generation, führend in dem russischen Energiesektor, sowie die Renaissance Credit Bank und ddie größte Investment-Bankgruppe in Russland, Renaissance Capital. Zudem besitzt er Anteile an Rusal.

Der Oligarch Vladimir Yevtushenko, einer der reichsten Männer Russlands, hält 64,2% an der AFK-Systems AG, die die MTS-Bank besitzt, welche wiederum die RTI-Gruppe direkt kontrolliert, die größte Industrie-Holding in Russland, der vor allem Konzerne der Hochtechnologie und der Microelektronik gehören. Außerdem besitzt die MTS-Bank 89% der Anteile von Bashneft, einer der größten russischen Ölgesellschaften und 92 % von Bashkiria, einem Elektrizitätskonzern.

Der Oligarch Oleg Deripaska besitzt die Investment-Gruppe Basic Element, die aufgeteilt ist in unterschiedliche Sektoren: Energie, Industrie, Luftfahrt, Landwirtschaft, Textil, Netzwerkbetreibung und Finanz-Service. Er besitzt eine der größten Versicherungsgruppen Ingosstrakh, die Großbank Soyuz, den privaten Pensionsfonds Socium, außerdem Basic Element und Element Leasing, eine der größten Leasing-Gesellschaften in Russland. Und ihm gehört die GAZ-Group, russischer Marktführer für Nutzfahrzeuge, Busse, elektrische Lokomotiven und Komponenten.

Der „Wodka-König“ Roustam besitzt die Russian Standard Bank, eine der größten russischen Banken, die Versicherungsgruppe Russian Standard Insurance und natürlich Russian Standard Vodka, die wichtigste Wodka-Brennerei in Russland.

Der Oligarch Agalarow besitzt die Crocus-Gruppe, eine der führenden Immobilien-Firmen Russlands mit Dutzenden von Konstruktionsfirmen und Logistik-Gesellschaften – und die Crocus-Bank.

Der Oligarch Dimitry Pumpyanskiy besitzt 98 % der SKB-Bank und 71,1 % von TMK Steel.

Der Oligarch Anatoly Sedykh besitzt 80 % der United Metallurgical Company, einem der größten russischen Hersteller von Rohren, Pipelines, Schienen und anderen Stahlprodukten für den Energiesektor, das Transportwesen und die Industrie - außedem 60 % des Kapitals der Metallinvest-Bank.

Der Konzern Rosneft besitzt die Russian Regional Development Bank, die MDM-Bank, eine der größten Privatbanken Russlands, besitzt die Siberian Coal Energy Company, den größten Kohleproduzenten Russlands einen der größten Exporteure. Die Syberian Coal Energy Company ihrerseits hält Anteile an der MDM-Bank und an mehreren großen internationalen Finanzinstitutionen wie z.B. der International Finance Corporation, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ebenso wie an einer der größten Investment-Gesellschaften Russlands, der Troika Capital Partners.

Die Guta Group ist eine der größten Industrie- und Investment-Gesellschaften, sie besitzt die United Confectioners Holding Company, Marktführer und Besitzer der meisten Marken (etwa 1700) im Textilsektor. Die Holding besitzt darüber hinaus die Guta-Versicherungsgesellschaft und die Guta-Bank, eine der Top-20-Banken in Russland, sowie Hotels, Krankenhäuser und Privatkliniken.

Die Don Invest Holding führt die Comercial Bank Doninvest und besitzt Gesellschaften im den Bereichen der landwirtschaftlichen Produktion, des Maschinenbaus und der Automobilproduktion (PKW und Bus).

Die meisten Oligarchen haben Sitze in der Duma, direkte Beziehungen zu Staatsfunktionären und zu den politischen Parteien der russischen Bourgeoisie. Es gibt in Russland eine Finanzoligarchie, aber sie hat nicht immer identische Interessen. Es gibt Teile der Großbourgeoisie, die eine eigenständige Entwicklung Russlands befürworten, und es gibt Teile derselben, die eine größere Verbundenheit mit dem „Westen“ wünschen. Diese fordern eine größere Liberalisierung und weitere Privatisierungen von Staatsunternehmen. Diese haben über die Jahre mehrfach versucht, eine so genannte „bunte“ Revolution in Russland hervorzurufen.

Wir haben den Kapitalexport Russlands betrachtet. Das andauernde Wachstum der nationalen Ökonomie und die Stärkung der nationalen Unternehmen hat zu einer schnelle Steigerung der Investitionen geführt, die Russland inzwischen zu einem der führenden internationalen Investoren gemacht hat. Durch die Gründung neuer Unternehmen im Ausland bzw. den Aufkauf dort ansässiger Unternehmen hat das russische Großkapital Zugang gewonnen zu neuen Ressourcen, Technologien und Märkten. Diese Expansion stärkt Russlands geopolitischen Einfluss und seine Position in der globalen Ökonomie.

Russische Kapitalgesellschaften beschäftigen mehr als 150.000 Arbeiter im Ausland, mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2000. Im Resultat hat die Expansion der größten russischen Konzerne sie zu so genannten globalen Multis werden lassen.

Die Führungsposition, was die Auslandsvermögen angeht, haben die Öl-, Gas- und Stahlkonzerne inne: Lukoil, Gazprom, Severstal und Rusal, mit einer Gesamtsumme von mehr als 50 Milliarden Dollar an Auslandsinvestitionen. 2012 haben russische Unternehmen insgesamt mehr als 139 Milliarden Dollar für den Erwerb ausländischer Aktiengesellschaften investiert (incl. der Übernahme von BP durch Rosneft für 56 Milliarden Dollar). Viele dieser Investitionen bezogen sich auf die Haupttätigkeit der russischen Konzerne, so dass man sagen kann, dass die russische ökonomische Expansion sich eher auf die Kerngeschäfte bezieht denn auf eine mögliche Diversifikation.

Die Zunahme der finanziellen Kapazitäten der führenden russischen Banken machte es möglich, dass sie in ihre eigene internationale Präsenz in der Weise investiert haben, dass sie ein einerseits existierende ausländische Bankgesellschaften übernommen und andererseits eigene Tochtergesellschaften im Ausland gegründet haben. So hat die VTB-Bank Zweigstellen in der Ukraine, in Weißrussland, in Armenien und Georgien eröffnet und dafür 400 Millionen Dollar investiert, während sie ihre Beteiligungen an westeuropäischen Banken weiter konsolidierte und zusätzlich Zweigstellen in Indien, China, Vietnam und Angola eröffnete. Die VTB-Bank ist inzwischen in der Lage, russische Konzerne in über 15 Ländern der GUS, Westeuropas, Asiens und Afrikas zu unterstützen, und sie plant, bis 2020 die größte und einzige globale Finanzinstitution der Nach-Sowjet-Ära in Russland zu werden.

Dieser – unvollständige – Blick auf die ökonomischen Verflechtungen in der russischen Ökonomie zeigt eindeutig, dass die Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital ist nicht zu leugnen ist. In Russland hat sich der Kapitalismus mit der Übernahme der Großbetriebe, wie sie in der Sowjetunion entstanden sind, unmittelbar zum Monopolkapitalismus entwickelt. Und der Kapitalexport steigt rapide an.

Wir können an dieser Stelle feststellen, dass der Kapitalismus in Russland fest etabliert ist, dass das Bankkapital mit dem industriellen Kapital verschmolzen ist, dass die großen Monopole eine fundamentale Rolle in der Wirtschaft spielen, dass Russland also ein imperialistisches Land ist, wenn auch nicht an der Spitze der imperialistischen Pyramide stehend.

Es geht nicht darum, für oder gegen Russland, für oder gegen Putin zu sein, sondern um eine wissenschaftliche Analyse des tatsächlichen Charakters eines jeden Landes, ohne Mystifizierungen und Idealisierungen, die danach streben, die Analyse des einen oder anderen Landes von seiner ökonomischen Basis zu trennen.

Wichtig ist aber, dass das heutige Russland - in völliger Abkehr vom Sozialismus und weit davon entfernt, irgendein „Modell“ zu sein, welches man übernehmen könnte - interessante Szenarien auf der internationalen Ebene eröffnet: die Konfrontation mit den USA, dem zur Zeit stärksten Imperialismus auf globalem Niveau, und die Annäherung an andere, aufstrebende Kräfte wie China, Brasilien, Indien und Südafrika (die so genannten BRICS-Staaten). Das führt zu großen Verwerfungen in der bisherigen politischen und ökonomischen Weltsituation. Deshalb kann man heute sagen, dass Russland, genauso wie China, die Hauptfeinde der unipolaren Weltvorstellung der Yankees ist, die sich seit 1989 manifestiert hat in den barbarischen Kriegen im früheren Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan, in Libyen, in Syrien usw.

Wie ist diese Situation entstanden? Sie resultiert zunächst einmal aus der ungleichen Entwicklung des Kapitalismus, zudem aus der Krise 2008, die schwere Auswirkungen auf die imperialistischen Zentren, also die USA, EU und Japan hatte, während die neu gruppierten BRICS-Staaten ein rapides Wachstum erlebten, auch wenn es da große Unterschiede zwischen ihnen gab. Das hat dazu geführt, dass sie jetzt eine neue internationale Bank gegründet haben, eine Alternative zum Internationalen Währungsfonds und zur Weltbank, wodurch Bretton Woods nach 70 Jahren gekippt wurde.

Wir Kommunisten können die mit den BRIS-Staaten in den letzten Jahren entstandene neue Situation mit einer neuen internationalen Arbeitsteilung, mit internationalen Konzernen, die in einigen dieser Ländern entstanden sind, mit den Abhängigkeiten und manchmal auch Unabhängigkeiten dieser Länder von anderen nicht beschreiben als eine Situation von „zwei Welten“, die sich nun gegenüber ständen, sondern wir müssen sie beschreiben als eine Situation, in der alte und neue monopolkapitalistische Mächte sich den Platz an der Spitze der imperialistischen Pyramide streitig machen.

Um zu wiederholen, was wir oben schon ausgeführt haben: die ungleiche Entwicklung des Kapitalismus und damit auch der imperialistischen Zentren, die interne Dynamik des Kapitalismus führt zur Zeit zu einer Verlangsamung der Entwicklung in denjenigen imperialistischen Ländern, die unter der Krise von 2008 und der allgemeinen Krise des Kapitalismus besonders leiden. Die Geburt der BRICS-Bank kann nur verstanden werden im Zusammenhang mit den dynamischen Veränderungen im weltweiten Rohstoffhandel, dem Preisverfall der Rohstoffe, der Erosion der Großinvestitionen der imperialistischen Zentren in diesen Ländern und in deren Entwicklung, was für die schwächeren Länder unmittelbar bedeutet, in Schulden unterzugehen oder sich zu emanzipieren von der wirtschafts- und finanzpolitischen Kontrolle durch die USA mittels Internationalem Währungsfonds und Weltbank. Stattdessen versuchen sie, neue politische und ökonomische Strategien zu entwickeln, um die Verluste, die sie u.a. auf dem europäischen Markt hinnehmen müssen, auszugleichen und die gegenseitige Zusammenarbeit zu stärken, ihre jeweiligen Märkte zu entwickeln und ein größeres Gewicht im internationalen Rahmen zu erreichen.

Die UNCTAD4-Daten für die Jahre von 2000 bis 2012 zeigen, dass der Zustrom von FDI5 (ein sehr wichtiges Kriterium für die Internationalisierung der Produktion) in die BRICS-Staaten sich mehr als verdreifacht hat und nach der Krise 2008 im Jahr 2012 knapp 20 % der weltweiten Auslands-Investitionen ausmachte – verglichen mit 6 % im Jahr 2000. Gleichzeitig sind die BRICS-Staaten auch wichtige Investoren geworden, ihre direkten Auslandsinvestitionen entwickelten sich von 7 Milliarden Dollar im Jahr 2000 zu 126 Milliarden Dollar im Jahr 2012, das sind 9 % des weltweiten Volumens. Vor zehn Jahren waren es nur 1,1 % gewesen.

China ist der größte Auslands-Investor der BRICS-Staaten und der drittgrößte weltweit, und 46 % der Auslandsinvestitionen, die in den BRICS-Staaten getätigt wurden, gingen nach China, gefolgt von Brasilien (25 %), Russland (17 %) und Indien (10 %). Der größte Teil der Auslandsinvestitionen der BRICS-Staaten ging in entwickelte Ökonomien, vor allem in die EU (34 %). Ein weiterer wichtiger Empfänger der Auslandsinvestitionen der BRICS-Staaten ist Afrika.

Die Expansion der russischen multinationalen Konzerne nach Afrika steigt rapide. Russland ist der größte Produzent von Aluminium weltweit und ist wegen der Rohstoffe präsent in Angola, Guinea, Nigeria und Südafrika, ebenso expandieren Banken nach Afrika wir die Vneshtorgbank, die in Angola, Namibia und der Elfenbeinküste Stützpunkte eröffnete, während Renaissance Capital 25 % der Eco-Bank hält, der größten Bank Nigerias.

Diese Entwicklung wird charakteristisch sein für die nächsten Jahre (mit der BRICS-Bank).

Diese Ereignisse sind in der Hinsicht positiv zu bewerten, als sie die weltpolitisch dominierende Stellung der USA schwächen und damit neue Möglichkeiten der Diplomatie und auch der diplomatischen Konfrontation schaffen, die sehr nützlich sein können. Zum Beispiel verhinderte die russische und chinesische Opposition gehen eine UN-„Friedensmission“ in Syrien die Wiederholung eines Szenarios, wie es ein paar Jahre vorher in Libyen stattfand. Das ermöglichte der syrischen Regierung, gegen die islamistischen Söldnern, die von den USA und anderen imperialistischen Mächten unterstützt wurden, wichtige Erfolge zu erzielen.

Das sind Indikatoren für einen Wandel im internationalen Kräfteverhältnis. Aber es sind keine Indikatoren für Hoffnungen auf einen neuen Anlauf zum Sozialismus.


1 „Imperialism and the split in socialism”, Lenin 1916, Collected Works, vol 23, 4th English Edition, Progress Publishers, Moscow 1964, pp. 105-120.

2 Source: Our graph bases on figures from the World Bank

3 DerGini-Koeffizientoder auchGini-Indexist einstatistisches Maß, das vom italienischen StatistikerCorrado Gini zur Darstellung vonUngleichverteilungenentwickelt wurde. Ungleichverteilungskoeffizienten lassen sich für jegliche Verteilungen berechnen. Beispielsweise gilt der Gini-Koeffizient in der Wirtschaftswissenschaft, aber auch in der Geographie als Maßstab für die Einkommens- undVermögensverteilung einzelner Länderund somit als Hilfsmittel zur Klassifizierung von Ländern und ihrem zugehörigen Entwicklungsstand.

Der Gini-Koeffizient wird aus derLorenz-Kurveabgeleitet und nimmt einen Wert zwischen 0 (bei einer gleichmäßigen Verteilung) und 100 (wenn nur eine Person das komplette Einkommen erhält, d. h. bei maximaler Ungleichverteilung) an.

4 United Nations Conference for Trade and Development (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung)

5 Foreign Direct Investment (Direkte Auslandsinvestitionen)

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