150 Jahre Lenin: ein ungewöhnlicher Mensch, ein Bergadler
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- Kategorie: International
- Veröffentlicht am Mittwoch, 22. April 2020 01:00
- Geschrieben von estro
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Wir schreiben das Jahr 1887 in der kleinen russischen Stadt Simbirsk. Ein 17jähriger steht am Fenster und hört das bitterliche Weinen seiner Mutter. Ihm selbst ist wahrscheinlich auch zum Weinen zumute. Sein älterer Bruder Alexander, Mitglied der revolutionären Organisation „Narodnaja Wolja“ (Volkswillen) wurde für die Teilnahme am Anschlag auf den Imperator Alexander III. verhaftet und verurteilt. Gerade erhielt die Familie die Nachricht: Alexander wurde hingerichtet, gehängt in St. Petersburg, zusammen mit 4 weiteren Genossen.
Der jüngere Bruder Wladimir hat viel mit seine Bruder Alexander diskutiert und von ihm auch gehört, dass es eine neue Lehre über die Befreiung der Arbeiterklasse gibt, den Marxismus. Und nun wurde Alexander hingerichtet.
Der 17jährige jüngere Bruder schaut seine Familie an und sagt:
„Das war ein falscher Weg. Wir nehmen den anderen.“
Das war vielleicht eine Legende, die aber die Tatsachen vollständig widerspiegelt. Der junge Wladimir Uljanow beginnt, in der Stadt Samara Jura zu studieren. Nach 3 Monaten ist er aus der Uni verwiesen, aufgrund seiner politischen Aktivität, er nahm an studentischen Protesten teil. Nach der Verbannung ins Dorf kehrt er zurück in die Stadt, studiert selbständig und eignet sich die Lehre von Marx und Engels in einem Jugendzirkel an. In diese Zeit ist der zukünftige Anführer des Weltproletariats nur ein junger Mann, typisch „Linksjugend“ – aktiv, radikal, interessiert. Er geht nach St. Petersburg, wo er es schafft, die Jura-Prüfungen nach selbständigem Studium zu bestehen, und organisiert selbst einen marxistischen Zirkel.
1895 entsteht aus mehreren Zirkeln die „Union des Kampfes für die Befreiung der Arbeiterklasse“, 1896 wird Wladimir Uljanow wieder verhaftet und in die Verbannung geschickt, 1898 wird die „Russische Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ gegründet, nur 9 Menschen sind bei der Gründung dabei. Bald darauf soll Wladimir Uljanow, der sich bereits „Lenin“ nennt (der Name stammt vom großen sibirischen Fluss Lena), ins Ausland fliehen, um der weiteren Verfolgung durch das zaristische Regime zu entkommen.
Mit einer Ausnahme im Jahr 1905, das Jahr der ersten russischen Revolution, bleibt Lenin fast 16 Jahre im Ausland, überwiegend in der Schweiz. So war die Realität: mehrere russische Sozialdemokraten und andere Regimegegner hatten nur die Wahl im Ausland zu leben oder in Russland illegal zu wirken und immer wieder verhaftet und inhaftiert zu werden. Dennoch kann die Parteispitze auch aus dem Ausland wirken, Lenin schreibt theoretische Arbeiten, die Zeitung „Iskra“ (Funke) wird herausgegeben, illegal nach Russland geschmuggelt und dort verbreitet. Lenin bekommt nach und nach eine Riesenautorität unter russischen Sozialdemokraten, seine Ideen sind entscheidend für die Partei, so, z. B. bildet sich die Fraktion der Bolschewiken, gerade weil die Mehrheit der Delegierten auf dem II. Parteitag der RSDAP den leninschen Ideen über die Partei folgten, während die Minderheit (Menschewiken) andere Vorstellungen hatte. Die meisten erkennen schon, was Lenin ist. So erzählte Josef Stalin in seiner Rede an die Kreml Kadetten 1924:
„1903 lernte ich Lenin zum ersten Mal kennen. Allerdings war das kein persönliches Treffen, sondern ein Brieftausch. Dieses ließ bei mir aber einen bleibenden Eindruck… Bekanntschaft mit der revolutionären Tätigkeit von Lenin am Ende der [18]90er und besonders nach 1901… hat mir die Überzeugung gebracht, dass Lenin ein sehr ungewöhnlicher Mensch ist. Ich sah damals in ihm nicht einen einfachen Leiter der Partei, er war Schöpfer der Partei, weil er als einziger das Wesen und die dringenden Bedürfnisse unsere Partei verstehen konnte. Als ich ihn mit anderen Leitern unserer Partei verglichen habe… ich dachte immer, dass Lenin ein Leiter von höherer Art ist, ein Bergadler, der keine Angst kennt und mutig unsere Partei anführt…
Das war ein relativ kurzer Brief, in dem stand aber eine sehr mutige Kritik an unseren Parteipraxis und ein wunderbar klarer Plan der Parteiarbeit für die nächste Zeit. Lenin allein konnte über die komplizierten Sachen so schlicht und klar, knapp und mutig schreiben, sein jedes Wort schien nicht zu sprechen, sondern ins Ziel zu schießen. Dieser einfache und mutige Brief hat mich überzeugt, dass Lenin in unserer Partei mit einem Bergadler zu vergleichen isti“.
Die Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse bestimmen den Gang der Geschichte, die Volksmassen schaffen die Geschichte. Aus diesen Massen werden unvermeidlich auch fähige Anführer geboren, die die Partei der Arbeiterklasse leiten können. Dennoch gibt es auch den subjektiven Faktor, der bestimmt, wie schnell und wie genau der Gang der Geschichte verläuft. Die Persönlichkeit hat eine Bedeutung. Wird die richtige theoretische Anschauung geschaffen? Wird die Organisation kampffertig und geschlossen gebaut? Wird die Revolution richtig vorbereitet und wird für sie ein genauer Zeitpunkt bestimmt? Das sind die Fragen, die sehr stark von der konkreten Persönlichkeit abhängig sind. Und das sind die Fragen, die wir im Fall Lenin immer mit „ja“ beantworten können. Ja, Lenin hat unschätzbare theoretische Arbeiten geschrieben, ja, seine Parteiverständnis war so genau, dass die Bolschewiken kampffertig und stark wurden, ja, Lenin hat die Situation in Russland immer ganz genau eingeschätzt und richtige Entscheidungen getroffen: das betrifft, z.B. seinen Appell im April 1917 zur sozialistischen Revolution oder die genaue Bestimmung des Zeitpunkts des bewaffneten Aufstands.
Es sind 150 Jahre seit Lenins Geburt vergangen. Das gibt uns Anlass zu denken: was bedeutet Lenin für uns heutige Kommunisten?
Die Bedeutung von Lenin kann man in 2 großen Bereichen sehen.
I. Theoretischer Beitrag zum Marxismus.
Der theoretische Beitrag Lenins war so groß und bedeutend, dass man ihn ohne Zweifel zu den „Klassikern“ zählt. Ohne den Leninismus ist heute der Marxismus nicht mehr zu denken (es sei denn, bürgerlicher „Marxismus“, der auch Marx selbst aus dem Boot wirft).
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Lenin erweiterte die Lehre des dialektischen Materialismus in der Philosophie, er hat die Lehre über Materie und Bewusstsein entwickelt, mit besonderem Schwerpunkt – Problem der Widerspiegelung in der Erkenntnis-Theorie.
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Er zeigte die entscheidende Bedeutung der marxistischen Ideen für die Organisation der spontanen Bewegung der unterdrückten Massen; die wichtigste Aufgabe der proletarischen Partei, die sozialistische Ideologie zu entwickeln und sie in das Bewusstsein des Proletariats zu bringen.
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Er erforschte die Besonderheiten des neuen Stadiums des Kapitalismus – Imperialismus, zeigte, dass dieses Stadium direkt zur sozialistischen Revolution führt. Er entdeckte das Gesetz der ungleichmäßigen ökonomischen und politischen Entwicklung kapitalistischer Länder im Imperialismus und kam zum Schluss, dass die sozialistische Revolution erst in einigen wenigen oder sogar nur in einem großen Land siegen kann.
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Lenin entwickelte die Idee der Diktatur des Proletariats und zeigte ihre konkreten Mechanismen, Wege und Ziele.
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Lenin begründete wissenschaftlich die Idee, dass der erfolgreiche Aufbau von Sozialismus und Kommunismus nur unter der Führung der marxistisch-leninistischen Partei möglich sei, die sich in ihrer Tätigkeit auf die Massen der Werktätigen stützt und ihr Vertrauen hat.
Das sind die Hauptrichtungen des theoretischen Beitrag Lenins im wissenschaftlichen Kommunismus.
II. Praktische Umsetzung des Marxismus.
Unter der Führung Lenins ist die erste erfolgreiche sozialistische Revolution in der Welt möglich geworden, sowie der Aufbau des Sozialismus. Lenins Arbeiten von 1918-1923 sind von unschätzbarem Wert, weil sie, auch wenn sie nur kurz und knapp sind, bereits diesen Weg im Sozialismus genau beschreiben. Stalin, unter dessen Führung der Aufbau des Sozialismus weiter ging, nannte sich immer Schüler Lenins, weil er die Ideen von Lenin verstehen und umsetzen konnte. Plan GOELRO, die NÖP, die nach dem Bürgerkrieg und Hunger absolut notwendig war, mehrere vielleicht kleine, aber sehr wichtige Bemerkungen z. B. über Arbeiterkontrolle, Frauenpolitik, Parteiaufbau. Dabei blieb Lenin nur noch so wenig Zeit. 1918 überlebt er knapp den Anschlag einer sozialrevolutionären Terroristin, Fanny Kaplan, er ist schwer verletzt; er war nie mehr richtig gesund, ab 1921 schwer krank, dennoch schafft er unglaublich viel und verschafft der UdSSR einen Start hin zum Aufbau des Sozialismus.
Lenin hat in der Praxis bewiesen: der Marxismus ist nicht nur eine Theorie, eine Philosophie unter vielen anderen. Der Marxismus ist die Kraft, die die Welt verändert. Nicht nur als ideologische Lehre für die aufständischen Arbeiter, sondern als Wissenschaft für die sozialistische Revolution und den Aufbau der komplett neuen Gesellschaftsordnung, einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Entfremdung.
Lenin ist der Mensch, der an der Schwelle zur neuen Welt stand und der die Tür in diese neue Welt zum ersten Mal geöffnet hat.
Zu seinem Begräbnis im Januar 1924 kamen Tausende und Abertausende Menschen. Manche trugen auch Transparente. Auf einem der Transparente stand der Satz: „Das Grab von Lenin ist eine Wiege für die Menschheit.“
Das mag für ein bürgerliches Bewusstsein absurd klingen. Wir verstehen immer noch sehr gut die Bedeutung dieser Worte.
Lenin lebte, er lebt, er wird immer leben!
i https://leninism.su/books/4045-o-lenine48.html?start=3 (meine Übersetzung aus dem russischen – Y.)