#LasstLucaLehren!
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- Kategorie: DRF online
- Veröffentlicht am Dienstag, 30. Januar 2024 19:00
- Geschrieben von estro
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In der Dezemberausgabe unseres Zentralorgans "Die Rote Fahne" veröffentlichten wir ein Interview mit dem jungen Lehrer und Gewerkschafter Luca, der unter fadenscheinigen Vorwürfen sein Referendariat nicht antreten darf. Morgen, am 31.01.2024, findet sein Gerichtsprozess statt, über dessen Hintergrund ihr im Interview lesen könnt. Ab 12 Uhr wird es eine Solidaritäts- und Protestkundgebung vor dem Frankfurter Landgericht (Gerichtsstr. 2) geben. Wenn ihr könnt, unterstützt vor Ort! Wir wünschen Luca alles Gute und viel Kraft!
In der gleichen Ausgabe zeichnete ebenfalls ein Genosse die Geschichte politisch motivierter Berufsverbote nach. Auch diesen Text stellen wir hier zur Verfügung.
„Lasst mich lehren“ – Ein Gespräch mit Luca
Luca ist 27 Jahre alt und arbeitet bereits seit längerem als Haupt- und Realschullehrer. Er ist nicht nur geschätzter Kollege und beliebter Lehrer, sondern auch politisch aktiv – u.a. bei der DGB-Gewerkschaft GEW. Hier setzt er sich beispielsweise für ein besseres Bildungssystem, mehr Lehrkräfte an Schulen und höhere Löhne ein. Sein politisches Engagement und seine berufliche Planung kommen sich nun aber in die Quere. Schuld sind staatliche Repressionen, in deren Zusammenhang seine Eignung als Lehrer angeblich in Frage gestellt sein soll. Julia Meinke hat für die DRF mit Luca gesprochen.
JM: Hallo Luca, du wolltest vor kurzem dein Referendariat antreten – ein spannender, neuer Lebensabschnitt! Das wurde jetzt allerdings ziemlich über den Haufen geworfen. Kannst du kurz etwas über die Hintergründe erzählen?
L: Hey, zuerst vielen lieben Dank wegen der Anfrage zu diesem Interview – mich erfreut jede Art von Aufmerksamkeit, diese trägt mich durch diesen aktuellen Lebensabschnitt und ist politisch gesehen meine stärkste Waffe. Zu deiner Frage: ich bewarb mich auf das Referendariat und wurde postwendend am Freitag vor den Sommerferien per Mail abgelehnt, obwohl ich sowohl körperlich als auch fachlich einwandfrei geeignet bin. Es ergab sich, daß das hessische Kultusministerium mich nicht einstellen würde, da ich angeblich vorbestraft sei und somit „charakterlich ungeeignet sei“, den Beamtenstatus zu erlangen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, daß sich auf einer 01. Mai Demonstration 2021 in Frankfurt am Main einem Polizisten angeblich einen pyrotechnischen Gegenstand gegen das Bein (in anderen Polizeiversionen gegen die Schulter oder in unmittelbare Nähe) geworfen haben soll. Wahr ist, daß ich an der Demonstration – wie in jedem Jahr – friedlich und lautstark teilgenommen habe. Nach mehr als 2,5 Stunden Demonstrationszug wurden die mehreren Tausend Demonstrierenden am Ort der Abschlußkundgebung durch die Polizei massiv angegriffen. Vorausgegangen war dieser Eskalation der angebliche Beschuß durch Pyrotechnik durch einen einzelnen Block der Manifestation – es gab im Verlauf mehrere Schwerverletzte, offene Brüche und dutzende Leichtverletzte. Um eine Person, welche blutend am Boden lag (dies beweist das Polizeivideomaterial eindeutig) zu schützen, warf ich – in dieser Ausnahmesituation und in einer absoluten Schrecksituation - in gebeugter Haltung achtlos einen Rauchtopf aus der „Gefahrenzone“. Vor Gericht sagten zwei mir unbekannte Polizeibeamte aus, daß ich mit meinem Verhalten ihre Arbeit behindert habe – gerichtlich festgestellt ist jedoch auch, daß sich beide mehrfach und teilweise diametral widersprachen, niemand durch mich verletzt oder dienstunfähig wurde und mir sonst keinerlei Straftaten zugeordnet werden können. Den Rauchtopf brachte ich weder mit noch entzündete ich diesen, am 01. Mai selbst bin ich nicht verhaftet worden, sondern willkürlich auf einer Monate danach stattfindenden Kundgebung ergriffen worden. Kurzum, in meiner Interpretation handelt es sich um einen Fall der politischen Gesinnungsjustiz, in dessen Verlauf eine kritisch-gewerkschaftliche und politisch aktive Stimme ins berufliche Abseits geschoben werden soll. Mir soll aufgrund meiner mißliebigen politischen Orientierung die finanzielle Existenz geraubt werden - schließlich obliegt dem Land Hessen (wie allen anderen Bundesländern) in Sachen Lehrerausbildung das absolute Monopol. Der Feuereifer, mit dem mich die Staatsanwaltschaft verfolgt, läßt leider wenig Raum für Zufälle oder andere Analysen. Als Exempel seien genannt: mein Berufungsgerichtstermin wurde 24 Stunden vorher wegen einem angeblichen Betriebsausflug des Landgerichtes abgesetzt, das Kultusministerium und die betrauten Beamten verweigern mir bis heute jegliche Aussage zu meinem Fall, der Staatsanwalt trat vor Gericht im hohen Maß aggressiv auf.
JM: Staatliche Repressionen gegen linke politische Aktivisten sind ja nichts neues – man muß nur zurückblicken auf die ‘68er und den 1972 beschlossenen „Radikalenerlaß“. Den gibt es zwar heute nicht mehr, aber siehst du an der Stelle Kontinuitäten?
L: Ich sehe absolute Kontinuitäten. Ich spreche auch in meinem Fall von einem Berufs- bzw. korrekterweise von einem Ausbildungsverbot. Die Beamten und Beamtinnen im Kultusministerium bzw. im Justizministerium wie auch die Frankfurter Staatsanwaltschaft versuchen zwar den Fall formaljuristisch bzw. strafrechtlich zu bewerten. Es muß jedoch klar gesagt werden, daß ich rein auf Grundlage einer Teilnahme an einer Demonstration, mein in der Verfassung garantiertes Recht auf Ausbildung verwehrt bekomme. In der mir vorliegenden Begründung des Kultusministerium zur Ablehnung geht der zuständige Beamte, seines Zeichens CDU-Kommunalpolitiker, in keinster Form auf eine Verurteilung ein, sondern bezieht sich primär auf die Teilnahme sowie den Verdacht einer möglichen Straftat. Erwähnenswert ist hierbei, daß ich in diesem Kontext großen Zuspruch von ehemaligen „Betroffenen“ politischer Berufsverbote erfahre sowie durch die Gewerkschaft GEW. Hier ist der klare Tenor: Auch wenn die Jahre vergangen sind und es auch Unterschiede gibt - Methoden, Vorgehen und Strafmaß gleichen sich. Insgesamt kann eingeordnet werden, daß die Berufsverbote nie in Gänze verschwunden waren, auch wenn es in den letzten drei Jahrzehnten ruhiger um sie stand. Es sei an Kerem Schamberger oder den Fall von Michael Csaszkóczy erinnert. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Viele Menschen haben – vollkommen zu Recht – Angst, ihre Stimme zu erheben.
JM: Offenbar wollen du und einige solidarische Menschen nicht einfach so hinnehmen, was dir da angehangen werden soll. Durch die Kampagne „Lasst Luca Lehren!“ bin auch ich auf „deinen Fall“ aufmerksam geworden. Wie wehrst du dich bzw. ihr euch und was ist da der aktuelle Stand?
L: Ich kämpfe diesen Kampf nicht alleine und um meinetwillen aus, sondern vielmehr, um auf bestehende Ungerechtigkeiten, sowie den Abbau gewerkschaftlicher und demokratischer Rechte in diesem Land oder Angriffe auf die politische Linke aufmerksam zu machen. Dazu versuche ich, Aufmerksamkeit in den deutschen Medien zu erzeugen, bewege mich im Rahmen der Gewerkschaft GEW, spreche auf Veranstaltungen und sammle weiterhin Unterschriften unter eine Petition zu meinem Fall. Zudem geht es juristisch in die nächste Runde: neben dem strafrechtlichen Verfahren vor dem Landgericht in Frankfurt strebe ich eine Klage auf Einstellung in den Schuldienst vor einem Verwaltungsgerichtshof an. Ruhe und klein beigeben, sind das falsche Signal – dazu braucht es Solidarität, Ausdauer und in letzter Instanz auch Geld.
JM: Gut, daß du das ansprichst - Wie kann man dich bzw. euch unterstützen?
L: In erster Linie durch Aufmerksamkeit, durch das Verbreiten meiner Petition (https://www.change.org/p/luca-muss-lehrer-bleiben-solidarität-mit-luca-gegen-berufsverbote) und durch die Ansprache von Kollegen und Kolleginnen zur Sache. Darüber hinaus stehe ich für Veranstaltungen im gewerkschaftlich-politischen Kontext gerne bereit und freue mich auf Einladungen. Schlußendlich kosten die Verfahren, die anwaltliche Begleitung und mein Engagement auch eine Menge Geld - mein Spendenkonto ist weiterhin aktiv.
In Zeiten und im Angesicht des gravierenden Lehrermangels in diesem Staat ist es für mich unbegreiflich, wie die zuständigen Politiker und Politikerinnen und dieser Staat mir derartige Steine in den Weg legen können. Doch die gewaltige Anteilnahme an meinem Fall, der mediale Auflauf sowie die überwältigende Solidarität lassen mich weitermachen! Lasst mich lehren.
Mein Spendenkonto ist das Konto der Gingold Iniative:
IBAN: DE45 5505 0120 1200 3299 75
SWIFT-BIC: MALADE51MNZ
Verwendungszweck: Luca oder Lasst Luca lehren
JM: Danke dir für das Gespräch und weiterhin viel Kraft!
Einzelne sind betroffen – viele sind gemeint!
Repression und Berufsverbote in der BRD
Deutschlands Geschichte war und ist schon immer auch eine Geschichte von Unterdrückung, und Repression. Seit der Entstehung Deutschlands im 19. Jahrhundert wurden Linke systematisch mit Berufsverboten verfolgt. Beispielhaft dafür sind die „Karlsbader Beschlüsse“ von 1819 gegen „revolutionäre Umtriebe, demagogische Verbindungen und geistige Vorbereitungen des Umsturzes“ oder auch die preußischen Notverordnungen gegen „unzuverlässige Elemente“ nach der gewaltsamen Niederschlagung der Revolution von 1848/49. Nach Gründung des Deutschen Reichs folgten 1878 das „Sozialistengesetz“ gegen „sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Umtriebe“ und die Verfolgung von Pazifisten durch die Militärjustiz im Ersten Weltkrieg. Um der Repression zu entgehen, blieb Betroffenen oft nur der Rückzug ins Private oder das Exil.
Am Ende des Ersten Weltkriegs scheiterte die Revolution im November 1918 am Verrat der Sozialdemokratie und weil es nicht gelang, die Strukturen des preußischen Militär- und Obrigkeitsstaates zu beseitigen. Monarchistisch-deutschnationale Truppenteile, gerufen von der neuen sozialdemokratischen Regierung unter Friedrich Ebert und Gustav Noske, unterdrückten die Arbeiterbewegung blutig. Bereits 1920 fühlten sich rechte Militärs und Politiker stark genug, um gegen die Republik zu putschen. 1923 folgte der „Hitlerputsch“. In den folgenden Jahren arbeiteten Rechte, Konservative und Wirtschaftseliten systematisch daran, die Republik endgültig zu zerstören und ein diktatorisches Regime zu etablieren.
Eine der ersten juristischen Maßnahmen der Faschisten an der Macht war 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Es wurde am 7. April 1933 erlassen mit dem Ziel, „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“, aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Das Gesetz bezog sich auf mehr als zwei Millionen staatliche und städtische Beschäftigte und fand Anwendung in der Justiz, in Schulen und Hochschulen. Später wurden auf der Grundlage nachfolgender Durchführungsverordnungen auch Arbeiter und Angestellte einbezogen, sowie die Bereiche der Reichsbank und der Reichsbahn. Mit dem Gesetz wurde die Gleichschaltung der staatlichen Bürokratie mit rassenpolitischen Zielen verbunden: Es richtete sich gegen jüdische Beamte ebenso wie gegen politische Gegner der Faschisten.
Nach der Befreiung vom Faschismus 1945 proklamierten die Alliierten eine demokratische Ordnung zu etablieren - es wurden ca. 220.000 NS-Funktionäre aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Mit dem sich entwickelnden Kalten Krieg wurde diese Politik wurde aber Schritt für Schritt in Westdeutschland zurückgenommen. Nach Gründung der Bundesrepublik 1949 ermöglichte bspw. der Artikel 131 des Grundgesetzes von 1951, zentrale Positionen im Staatsapparat wieder mit ehemaligen Nazis zu besetzen. Am 11.Mai 1951 folgte das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“. Damit mußten schließlich alle öffentlich Bediensteten, die beim Entnazifizierungsverfahren nicht als Hauptschuldige oder Belastete eingestuft worden waren, wieder eingestellt werden. Noch in den 1970er Jahren waren ehemalige NS-Juristen an den Grundlagenentscheidungen für die Berufsverbote beteiligt.
Es gab nach dem Krieg in Deutschland eine breite antimilitaristische Bewegung. Allerdings betrieb die Adenauer-Regierung eine Politik der Remilitarisierung Westdeutschlands. Mit dem sogenannten „Adenauer-Erlaß" von 1950 wurde es möglich, Kritiker dieser Politik im Staatsdienst mit Berufsverbot zu belegen. Mit dem ersten Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 konnte sogar die Gesinnung bestraft werden. Schon vor dem Verbot der KPD 1956 sollte die außerparlamentarische Opposition aus dem öffentlichen Leben verbannt und kriminalisiert werden.
Ab Mitte der 1960er Jahre entstanden Protestbewegungen an Hochschulen und in Industriebetrieben. Vor allem junge Leute gerieten zunehmend in Konflikt mit den autoritären Verhältnissen in der BRD. Kritisiert wurden mangelnde Bildungschancen für Arbeiterkinder, die Bedrohung der Pressefreiheit, die Rehabilitierung ehemaliger NS-Täter, die Unterstützung faschistischer Regimes in Spanien, Portugal und Griechenland durch die Bundesregierung, der eskalierende Vietnamkrieg der USA und die Notstandsverordnungen der Großen Koalition. Mit letzteren wurde möglich, wesentliche demokratische Rechte und Verfassungsgrundsätze in Krisenzeiten einzuschränken oder außer Kraft zu setzen. Ende der 1960er Jahre stellten sich westdeutsche Politiker, Justiz, Polizei und Geheimdienste die Frage, wie die Massenproteste an Hochschulen und in Betrieben eingedämmt werden könnten. Die bislang praktizierten Formen der Repression – Polizeieinsätze, Überwachungen, politische Prozesse und Haftstrafen – schienen ihnen nicht mehr ausreichend. Besonders fürchteten die staatlichen Organe, daß eine neue linke Studentengeneration in staatliche Strukturen einsickern und diese von innen verändern könnte.
1970 fällte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zum „Abhörgesetz“, das kurz nach den Notstandsgesetzen verabschiedet worden war und stellte damit der Exekutive gewissermaßen einen Freibrief für den Umgang mit „Verfassungsfeinden“ aus. Verfassungsfeind - das war ein neuer Begriff, den kein deutsches Gesetz kannte oder unter Strafe stellte. Der Verfassungsschutz hat ihn erfunden und seit Anfang der 70er Jahre zum Bestandteil deutschen Alltags gemacht: Millionen junger Menschen wurden seither auf ihre politische Gesinnung überprüft.
Eine 1971 eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe diskutierte Möglichkeiten, linke Kritiker aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten. Die Maßnahmen sollten einschüchtern und abschrecken. Auf der Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder zu „Fragen der inneren Sicherheit“ unter dem Vorsitz des damaligen Kanzlers Willy Brandt (SPD) wurde am 28. Januar 1972 eine Erklärung abgefaßt, die sich im Wortlaut am NS-„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem Jahr 1933 orientiert. Gleichzeitig verabschiedeten die Ministerpräsidenten „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“. Das war der eigentliche „Radikalenerlaß“ und die Grundlage für die später verhängten Berufsverbote, von denen zwischen 200.000 und 500.000 Menschen in Westdeutschland unmittelbar oder mittelbar betroffen waren. Er zielte auf die Vernichtung der materiellen Existenz: Die Betroffenen konnten entweder ihre Ausbildung nicht abschließen oder die erlernten Berufe nicht bzw. nicht mehr ausüben, da diese vom Staat monopolisiert werden. Berufsverbote haben daher für die Betroffenen lebenslange existenzielle Auswirkungen. Tatsächlich wurden in den folgenden Jahren zehntausende politische Gegner in obrigkeitsstaatlicher Manier ausgeschnüffelt und mit dem Berufsverbot gemaßregelt. Dieses Vorgehen wurde innen- und außenpolitisch geleugnet. Das alles stand in Widerspruch zum Motto der damaligen sozial-liberalen Koalition: „Mehr Demokratie wagen!“.
Bei den Berufsverbotsverfahren ging es um politische Ansichten und Aktivitäten. Klare Kriterien für Ablehnungen wurden nicht benannt, Ablehnungsgründe bezogen sich jedoch selten auf die berufliche Tätigkeit. Entscheidend war die abweichende Gesinnung - die Opposition zur bestehenden Eigentums- oder Gesellschaftsordnung. Ablehnungsgründe waren dabei nicht nur die Zugehörigkeit zu sozialistischen oder kommunistischen Gruppen/Parteien oder Aktivitäten, die auf Sympathien und mangelnde Distanzierung zu jenen schließen ließen. Abgelehnt werden konnte auch, wer in die DDR zu Weltjugendfestspielen reiste oder seine Solidarität mit Kuba ausdrückte, Stellungnahmen zum Vietnamkrieg, Notstandsgesetzen und Antikriegsinitiativen verfaßte oder an Demonstrationen eben solcher teilnahm. Stellungnahmen gegen Berufsverbote und Beamtengesetz-Paragrafen sowie kritische Strauß-Darstellungen und das Kleben von Plakaten oder die Nähe zur Hausbesetzer-Szene, linken Wohngruppen etc. galt als hinreichender Beweis für die oppositionelle Haltung zum Bestehenden – ganz zu schweigen von ehemaliger Betätigung in der Außerparlamentarisch Opposition (APO) der 60er Jahre.
Die Ausweitung der Berufsverbote vom Schul- auf den Hochschulbereich und auf Bahn sowie Post ab 1977 signalisierte: Jeder mußte damit rechnen, daß seine politische Tätigkeit erfaßt und sanktioniert werden kann. Die jahrelange Dauer der Gerichtsverfahren zermürbte viele Opfer, 70 Prozent der Klagen wurden schließlich abgewiesen. Die extremen Belastungen des Berufsverbotsverfahrens führten nicht selten zu psychischen Erkrankungen. Von diesen Beispielen abgeschreckt, verzichteten Tausende politisch Aktive auf eine Bewerbung für den öffentlichen Dienst. Andere unterließen Äußerungen und Tätigkeiten, die sie der Gefahr der Verfolgung aussetzte. Gesellschaftliche Folgen – nicht nur im öffentlichen Dienst – waren vielfach Mißtrauen, Anpassung und der Verzicht auf systemkritisches Engagement.
Ende der 1970er Jahre stieg die Lehrerarbeitslosigkeit in Westdeutschland und die Ablehnungen aus politischen Gründen wurden ab dann oft hinter der Angabe „mangelnder Bedarf“ versteckt. Ab 1979 verzichteten die meisten Bundesländer auf die amtliche Regelanfrage beim „Verfassungsschutz“. Die „Anhörung“ wurde dann in vielen Fällen von der geheimen Überprüfung und vom ausführlichen Einstellungsgespräch abgelöst.
Bei den Begründungen des Vorgehens wird oft auf Grundlage der Totalitarismusideologie argumentiert. Ihre Hochphase hatte diese Ideologie direkt nach 1945, als die Konflikte zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion zum „Kalten Krieg“ eskalierten. Die Ideologie setzt Faschismus und Kommunismus – kurz: „Rechts und Links“ – gleich. Innenpolitisch diente sie immer zur Bekämpfung der linken Opposition. Wissenschaftlich gilt die Totalitarismusideologie, auch Extremismustheorie, als höchst unseriös. Nichtsdestotrotz erlebt sie seit den 1990er Jahren eine Renaissance: Sie dient der Delegitimierung der DDR und erneut zur Diffamierung sozialistischer Kräfte.
Nach der Annexion der DDR kam es zu einer neuen Hochphase der Verfolgung auch im Osten. Der Radikalenerlaß, für den die BRD übrigens 1995 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde, kam in Ostdeutschland zu neuer Wirkung. Zehntausende Menschen wurden ihrer beruflichen Existenz beraubt. Der Vorwurf:„Staatsnähe“ - also die Teilnahme am Aufbau der DDR. In einer Phase drastischer Umbrüche in der Beschäftigungspolitik bedeutete der Rauswurf aus dem öffentlichen Dienst oft einen vollständigen Verlust der beruflichen Existenz, begleitet von einem abrupten Abbruch sozialer Verbindungen. Das führte oft zu umfassender Isolation in einem Umfeld, das durch Stigmatisierung, Verunsicherung und Entsolidarisierung geprägt war. Nach verläßlichen Schätzungen wurden etwa eine Million ehemaliger Staatsbediensteter der DDR so rücksichtslos aus dem öffentlichen Dienst gedrängt. Diese Massenvernichtung beruflicher Existenzen wäre kaum möglich gewesen ohne die Begleitpropaganda, die den Eindruck erweckte, der öffentliche Dienst müsse von - durchweg als Verbrecher dargestellten und schließlich gar nicht mehr anders vorstellbaren - ehemaligen »Stasi«-Mitarbeitern »gesäubert« werden.
So wie die Berufsverbote in Westdeutschland hatte auch dieses Unrecht den politischen Zweck antikapitalistische, sozialistische und kommunistische Vorstellungen und die Organisationen, die Träger solcher Vorstellungen waren und sind zu delegitimierten. Die Ansage ist deutlich: Jeder, der sich am Aufbau einer nicht-kapitalistischen, sozialistischen Gesellschaftsordnung beteiligt, hat mit lebenslangen finanziellen Einbußen, mit Existenzverlust oder Strafverfolgung zu rechnen.
Damit endet die Geschichte nicht: Auch heute werden Menschen aufgrund ihrer politischen Einstellungen bespitzelt, verfolgt, behindert und mit der Vernichtung ihrer beruflicher Existenz bedroht. Der einzige Unterschied ist: Die Methoden sind feinere geworden und es gibt heute fast kein öffentliches Bewußtsein dafür, geschweige denn breiten Widerstand aus der Gesellschaft dagegen. Die „Ampel“ Regierung formulierte im Koalitionsvertrag: „ Um die Integrität des öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, daß Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden können.“ In Bayern gibt es nach wie vor eine Gesinnungsprüfung für angehende Beamte, es gibt nach wie vor einzelne Lehr- und Berufsverbote, die in der Tradition des „Radikalenerlasses“ stehen. In den letzten Jahren haben einige vom Berufsverbot Betroffene bei verschiedenen Verfassungsschutzämtern und beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) Anträge auf Offenlegung der Akten gestellt. Die Antworten des „Verfassungsschutzes“: Es liegen keinerlei „Erkenntnisse“ und Akten vor, auch Löschdaten sind nicht vorhanden. Die Antworten des MAD: Auskünfte werden nicht erteilt. Die Bundesregierung bestreitet bis heute, daß es jemals Berufsverbote gab. Die Politik der Berufsverbote ist in Vergessenheit geraten und wird geleugnet. Tatsächlich haben jedoch bisher nur zwei Bundesländer den sogenannten „Radikalenerlaß“ offiziell abgeschafft: das Saarland im Jahr 1985 und das Land Bremen Anfang 2012. Die Bedrohung beruflicher Existenzen bei oppositioneller Haltung zum kapitalistischen System bestehen jedoch weiter.
Mike Nagler